Dienstag, 3. April 2012

Endlich berühmt - oder?


Wussten Sie schon, daß es riskant ist, Briefmarken zu sammeln? Haben Sie ein Faible für „Drittes Reich“? Achtung!, da findet sich womöglich Hitlers Konterfei von 1 Pfennig in schwarz-grau über 24 Pfennig in dunkelorangebraun bis 5 RM in schwarz-violett/ultramarin als Postwert-zeichen in Ihrem Album. Schlimmer noch: Auf einigen Marken des „Dritten Reichs“ und erst recht auf den Stempeln ist ein Hakenkreuz abgebildet. Das Symbol ist in diesem Land verboten. Verrä-terische Zeichen diese Marken, oder? Sammeln Sie Rußland, Sowjet-Union, kann kaum ausbleiben, daß Hammer und Sichel, Stalin, Lenin, Marx in Ihrem Album zu finden sind. Nun werden Sie sagen: Aber das sind doch nur Briefmarken. Wer kommt auf die Idee, von diesen kleinen unschuldigen gezackten Winzlingen auf die Gesinnung des Sammlers zu schließen?Nun, es gibt solche Menschen. Ich kenne einen.Er ist mein Stalker.Sie wissen, was ein Stalker ist? * Bei einer Veranstaltung im Februar fiel ein Mann durch Aggressivität und freche Pöbeleien auf. lch setzte ihn vor die Tür – was nicht ganz einfach war. Da ich mit dieser Person seit mehr als 10 Jahren zu tun habe, erwartete ich in den Tagen, aber vor allem in den Nächten nach dem Rausschmiß Anrufe und Störmanöver. Diesmal dauerte es, ein Novum, länger als eine Woche, bis es losging. * Ich traf den Mann zufällig auf der Straße, antwortete auf seinen launigen Gruß und ließ mich, naiv wie ich bisweilen bin, in ein Gespräch verwickeln. Wahrscheinlich ein Fehler. Mit noch größerer Wahrscheinlichkeit war es ein Fehler, daß ich in dem Small Talk zum Besten gab, daß ich „wieder Briefmarken sammle“. * Bereits in der nächsten Nacht wurde eine Botschaft auf meinen Anrufbeantworter gesprochen. Zunächst nur laute Musik, sehr schräg, dissonant, dann die coole Frage eingeblendet: „Na, was hältst du davon?“ * Die Stimme kam mir bekannt vor.

Am nächsten Tag –ich war nicht zu Hause- zwei Anrufe auf AB. „Hallo Anrufbeantworter, Du bist mal wieder nicht da. Naja, das kennen wir ja.“ und „Hier spricht der automatische Anrufbeantworter von XX. Ruf doch mal zurück. Muß ich denn immer von mir aus anrufen?“ Abends erwischte mich XX dann direkt am Telefon. Er erzählte von irgendwelchen Konzerten, die er in Wilhelmsburg organisieren wolle, nannte das „U-Boot-Orchester“ und andere Namen. Ich ahnte, was er wollte. „Nein, ich hab keine Zeit“, versuchte ich die Stimme bzw. die Person dahinter abzuwimmeln. „Einmal durch den Dschungel und zurück. Du kennst meinen Weg“, lautete die kalte Antwort, „Solidarität gibt es nur für die Anderen. Ich hab zwei Jahre aufm besetzten Gelände bei Lübeck gelebt. Das Härteste überhaupt“. Ich legte auf. Diese Leier wieder! Nein danke, die Story hatte ich schon mehrfach gehört. Besetztes Gelände, Bullen, Bauwagen, die ganze Klischee-Nummer von A bis Z. * Zwanzig Minuten später klingelte erneut das Telefon. Ich ging ran, denn ich rechnete mit dem Anruf einer Freundin. Es war X. „Was gibts?“, fragte ich unfreundlich. „Ich hab nur wenig Zeit, zwei Minuten“. - „Nur zwei Minuten? Ach ja, der Herr sammelt neuerdings Briefmarken. AHHH! Keine Zeit!!?“ – „Genau, keine Zeit. Zehn Sekunden sind schon um. Noch eine Minute 45“. – „Noch eine Minute 45 Sekunden“ äffte es vom anderen Ende der Leitung. – „Oke, dann ist auch eine Minute zu viel“ erwiderte ich und legte auf. * Bis zum nächsten Anruf dauerte es mehrere Stunden. Ich saß vorm Computer, hörte es klingeln, ging aber nicht ran. Am nächsten Morgen drückte ich auf den Abspiel-Knopf. * „Hier XX. Ich hab mal einen Tip für Dich. Du hast ja keine Zeit, wie du behauptest. Geh mal ins Krankenhaus und laß dir einen Termin für eine OP geben. Dein Problem kann man operieren.“ * Oh Gott, dachte ich, oh nein, was für ein Idiot! Was will der von mir? In den letzten Jahren warf ich ihn zweimal aus meiner Wohnung, schrieb ihm mehrere Briefe, in denen ich nachdrücklich darauf hinwies, kein Interesse an ihm zu haben. Weder an ihm persönlich noch an seinen politischen Phrasen. Ich stehe anarchistischen Ideen nicht negativ gegenüber, aber dieser Mann ist für mich ein durchgeknallter Alkohol- und Dro-gen-Freak. Einer, der überall jedem aufdängen will, was ihm gerade durch den Kopf geht. Geradezu zwanghaft. Das widerspricht meinen Vorstellungen von Freiheit. Wie kann ich den Kerl auf Distanz halten? Als ich ihn das letzte mal aus meiner Wohnung schmiß, randalierte er noch 10 Minuten lang vor der Tür, haute gegen die Fensterscheiben, pöbelte herum und ritzte im Hausflur in die Wand: „F ... Dich!“ ** Der Mann läßt nicht locker. Gestern ging ich spazieren und entdeckte auf einem Strom-Kasten bei mir um die Ecke den Spruch „Du sammelst Briefmarken“ Groß geschrieben, mehr als ein Meter breit. Ausrufezeichen!

DU SAMMELST BRIEFMARKEN!

Die Schrift kenne ich. Und ich kenne den Mann, der mich hier anklagt. Wie ein enttäuschter Lover. Schwul ist er aber nicht. Ich kenne diese Sorte Polit-Freaks. Die von dem Hobby eines Menschen auf die politische Gesinnung schließen. Die für sich und ihre Probleme Solidarität und Mitgefühl erwarten. * Diese Leute sind gefährlich, weil dumm. Emotional dumm.

Ich träumte davon, als Künstler berühmt zu werden. Nun werde ichs als Briefmarken-Sammler. * (Name, Adresse, Tel.Nr. des Stalkers sind mir bekannt; ich möchte sie aber an dieser Stelle nicht bekannt geben) R.S.

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