Donnerstag, 28. Februar 2013

Schluß? Feierabend?`


Der Head-Liner des aktuellen Kultur-SPIEGEL ist ein Kracher. Vor allem die Grafiken sind ein Blickfang. Jindrich Novotny paraphrasiert traditionelle, linke Sprüche, etwa mit „Alle Rechner stehen still, wenn dein starker Arm es will“. Auch „Brüder, zur Sonne, zur Freizeit!“  und „Wacht auf, Verdammte dieser Erde“ sind handwerklich gediegen und witzig. * Autor Tobias Becker überschreibt „Ein Plädoyer gegen die Diktatur der Lohnarbeit“ mit „Schluss.Aus. Vorbei.“  Becker  bezieht sich auf die Bücher Dead Man Working. Die schöne neue Welt der toten Arbeit“ von Carl Cederström/Peter Fleming, „Hört auf zu arbeiten! Eine Anstiftung, das zu tun, was wirklich zählt“ von Anja Förster/Peter Kreuz und „Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens“. Tobias Becker recherchiert gut und schreibt lebendig, aber bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das meiste, was bei ihm innovativ und verheißungsvoll klingt, als kalter Kaffee. Klagen über den öden Arbeits-Alltag sind alles andere als neu. Unter dem Paradigma „Ausstieg“ werden, seit Jahrzehnten, immer wieder mal Alternativen aufgezeigt (selten gefeiert) – genau genommen gab es Überdruß und Suche nach anderen Arbeits- und Lebensweisen auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Psychische Störungen führen zu 59 Millionen Krankheitstagen pro Jahr“ schreibt der SPIEGEL-Autor. Das mag stimmen. Trotzdem bedeutet dies noch lange nicht, daß keine Arbeit besser wäre. Denn auch dies ist bekannt: Daß Menschen nicht automatisch gesunden, wenn sie ihren Job aufgeben oder dauerhaft krank geschrieben werden. Interessanter wird’s schon, wenn der Autor von „Fluchtversuch“ spricht und „Eine therapeutische Gegen- und Parallelwelt“ konstatiert, „die das weitere Funktionieren der Arbeitswelt nur sichert“. Wir können mit einiger Berech-tigung davon ausgehen, daß der weitaus größte Teil aller verschriebenen Psychotherapien genau darauf hinauslaufen, nämlich: „das weitere Funktionieren“ des Therapierten in und für die Arbeitswelt zu gewährleisten. Eine Alternative dazu theoretisch zu entwickeln ist sehr einfach, aber praktisch wird es schon schwieriger,  wenn es nämlich darum geht, Finanziers für die Therapie aufzutun. Sätze wie „Die Deppen sind wir, weil das Problem nicht unsere Chefs sind, sondern unsere inneren Chefs. Wir selbst. Die Deppen sind wir, weil wir im Job gegen unsere Bedürfnisse handeln ... Die Deppen sind wir, weil wir uns nicht auflehnen, weder gegen unser Arbeitsethos noch gegen unsere Betriebe, noch gegen unsere Politik“ lesen sich flott und munter. Ich halte dem entgegen: In der Arbeits-welt, sowohl in der „freien Wirtschaft“ als auch in den diversen Dienstleistungs-Sektoren sieht es anders aus als in der Redaktion des SPIEGEL oder des Kultur-SPIEGEL. Bei dem Job, den ich bis Anfang März noch innehabe, als Betreuer von geistig und körperlich behinderten Menschen bei aaw (Alsterdorf Assistenz West) wird knallhart hierarchisch und autoritär entschie-den. Wer sich an diese –bis-weilen verschleierte – Hackordnung nicht hält, für den stehen genug andere bereit, die den Job brav und devot verrichten. Bemerkenswert an dem mehrere Seiten langen Artikel T. Beckers finde ich u.a., daß er den Bereich der Konkurrenz weitest-gehend  ausspart. Die als „Deppen“ dargestellten Arbeitnehmer sind nicht immer so dämlich, wie sie auf den ersten Blick wirken.  Natürlich kann sich jeder dem Leistungsdruck und dem genormten Tagesablauf verweigern. Er wird sich dann aber schnell vor der Tür wiederfinden. Und ob die Alternative:  HartzIV-Empfänger zu werden, besser ist als einen von Streß gezeich-neten Job zu verrichten, das bliebe zu unter-suchen.  * Übrigens finde ich den SPIEGEL-Autor von seinem Schreib-Stil her sehr locker und lebendig. An seinen journalistischen Fähigkeiten habe ich keine Zweifel. Was jedoch die Originalität der Thesen bzw. Aussagen betrifft, die er selber macht bzw. untersucht, so gebe ich wenig darauf. Keiner der Gedanken ist neu. Neu ist nur, daß wir, durch Perfektionierung unserer Kommunikations-Technik, Internet usw. besser informiert sind denn je.  Aber wir sind auch leichter zu manipulieren und zu verunsichern, meint der Blogger.  * Obwohl ich anderer Ansicht bin, bedanke ich mich für den Artikel von Herrn Becker. Und mache Reklame für den Grafiker Jindrich Novotny für seinen coolen, an der Neuen Leipziger Schule (so scheint mir) orientierten Zeichen-Stil. **RS**  

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