Sonntag, 29. März 2015

"Hochschule für Wiederstand"

Die letzte Woche verbrachte ich im Fachbereich Sozialökonomie der Fakultät "Wirtschafts- und Sozialwissenschaften" der Hamburger Universität. Früher hieß dieser Bereich HWP = Hochschule für Wirtschaft und Politik. Als Assistent eines Studierenden nahm ich nun an einer OE (Orientierungs-Einheit) teil. Für mich bedeutete die Woche auch eine Rückkehr zu meiner eigenen Ausbildung. Von 1975-1982 studierte ich im zwei Steinwürfe entfernten PI (Pädagogisches Institut). * Mir scheint, die heutigen Studierenden sind um einiges lockerer als die Studis meiner Generation. Schon rein äußerlich. Zur Einführung der Studienanfänger gab es ca. 10 Gruppen, die von Tutoren angeleitet wurden, die sich ein Outfit zwischen schrill und grotesk zugelegt hatten. Ich bekam u.a. einen Eindruck davon, was unter "Gendering" zu verstehen ist. Ein Tutor erschien in schwarzem Rock, mit türkis lackierten Fingernägeln, Glitzerstaub an den Schläfen usw. Der subjektiven, möglichst ungehemmten Äußerung der Tutoren wie auch der Studienanfänger wurde breitester Raum gelassen, auch emotional. 1975 nahm auch ich an Veranstaltungen für Studienanfänger teil, die jedoch weniger exaltiert und mehr am genormten Begriffen orientiert - mit anderen Worten: viel vernünftiger waren. Ich hatte in den vergangenen Tagen eine Menge Vergleichsmöglichkeiten - wobei allerdings die Studieninhalte: Päda-gogik und Wirtschaftswissenschaften weit auseinander liegen. * Obwohl mir einige Dinge nicht behagten und mir schien, daß mit übertriebenen Äußerlichkeiten innere Unsicherheiten übertüncht wurden, war ich entschlossen, alles Erlebte, Gehörte, Gesehene positiv zu sehen und ich plante sogar, ein Video-Interview zu führen mit dem Arbeitstitel: "40 Jahre später". Bis sich dann die Situation grundlegend änderte. Der Tutor der von mir besuchten OE hatte eine prinzipiell negative Einstellung gegenüber Erziehung. Für ihn war "Erziehung etwas, das es im Gefängnis gibt". Er behauptete, daß Erziehung, da mit Autorität behaftet, etwas grundsätzlich Negatives, Abzulehnendes sei. Ich versuchte seinen Standpunkt zu relativieren, indem ich, von mir selber ausgehend, darauf verwies, daß Erziehung ein lebenslanger Prozeß sein könne. Es gehe auch um so etwas wie "Selbsterziehung". Ich - erziehe mich selber. Eine junge Frau, die ihr Geld als Erzieherin verdiente, unterstütze meine Position - ansonsten schluckten die übrigen OE-Teilnehmerinnen sowie die Co-Tutorin die propagierte prinzipielle Ablehnung von Erziehung - zwei Steinwürfe vom Pädagogischen Institut entfernt, in dem Tausende Studenten auf ihre späteren Berufe vorbereitet werden. * Meine Sympathien für den Mann, der zu Beginn der OE eine schwarz-rote Fahne ins Fenster hängte, schwanden deutlich, auch wenn er alles tat, um möglichst sympathisch zu erscheinen. * Ich könnte hier noch mehr über das schreiben, was mir auffiel, weiß aber nicht, ob dies meine Blogleser interessiert. Vielleicht lasse ich diesen Bemerkungen noch weitere folgen? ---  *RS*


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