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Standort:
Hamburg, Elbinsel Wilhelmsburg.
Seit
Ende Oktober wird „Inselflimmern“
einmal im Monat von TIDE TV ausgestrahlt. Ich sah mir eine Sendung (ca. 15 min)
an. Mein erster Eindruck: Technisch (Kameraführung, Schnitt) höchst professionell gemacht. Zweiter Eindruck,
die Inhalte betreffend: 100 % political
correct. Probleme mit der Integration von Ausländern bzw. Migranten
scheinen nicht zu existieren – höchstens haben Migranten Probleme miteinander. Ein Imam findet, im Zusammenhang
mit einem Bericht über ein Theaterstück deutliche Worte. Es gebe ein „starkes Bedürfnis, eine innerislamische
Differenzierung vorzunehmen, dh die Radikalisierten in die Enge zu treiben,
also auszugrenzen ... dh Identifikation weg von radikalem Gedankengut“ (Zitat
aus der Sendung). Übertragen auf die
heutige Situation erscheint die Forderung „nachvollziehbar“, weil wir alle den Islamisten-Terror
aus den Medien kennen. Ob dem Problem jedoch beizukommen ist, indem hier
lebende junge Radikale ausgegrenzt werden, ist mehr als fraglich. „In die Enge“ zu „treiben“ bewirkt NICHT eine Abkehr von radikalem Gedankengut,
sondern führt bestenfalls zu Stigmatisierung, d.h. Verunsicherung und Lähmung
bestimmter Impulse. Was wir momentan erleben, ist eher das Gegenteil: Gerade
die Ausgrenzung radikalisiert weiter ... Es gibt, und dies ist mein
Haupteinwand, jedoch auch noch andere „Radikale“ unter Muslimen als jene, die
Terror befürworten. Es gibt Radikale, die friedlich
leben und weder Krieg führen noch Menschen terrorisieren. Es gibt nicht nur
Unterschiede zwischen Schiiten und Sunniten, sondern noch andere Untergruppen,
denen das Leben schwer gemacht wird. 2010 war, nicht zum ersten mal, der
Dichter und muslimische Geistliche Hadayatullah
Hübsch Gast des Wilhelmsburger Kunstbüro. Eine Lesung, die ich für ihn in
einer evangelischen Einrichtung vereinbarte, wurde in letzter Minute abgesagt,
der Dichter ausgeladen. Begründung: In Wilhelmsburg ansässige Muslime könnten
sich provoziert fühlen durch eine Veranstaltung mit einem Mann, der der
(reformerischen) Richtung des Ahmadiyya-Islam angehört. Leider wird in dem
Bericht von „Inselflimmern“ nicht
gesagt, welcher Glaubensrichtung der Imam angehört, der dazu auffordert, „die Radikalisierten in die Enge zu treiben,
also auszugrenzen“. Man könnte ihn nämlich
freundlich dazu auffordern, am besten gleich die Reisekosten für die „Radikalisierten“ nach Syrien oder Irak
zu übernehmen. Oder sollen die „in die
Enge“ Getriebenen und Ausgegrenzten besser in Deutschland eine Terror-Zelle
gründen?
Wer
sich ein TV-Format wünscht, bei dem flotte „Lösungen“ für höchst komplexe
Probleme geboten werden, wird hier gut bedient. Das Sende-Schema erinnert an
den Pragmatismus, der auf der Elbinsel jahrelang von der IBA vorexerziert
wurde: Konflikte niemals austragen,
Probleme schönreden, Kritiker ausgrenzen, vollendete Tatsachen
schaffen und anschließend zum Bürger-dialog
einladen. Inselflimmern scheint mir
ein auf den Stadtteil zugeschnittenes Format, bei dem jede Kritik an Gentrifizierung
ausgeschlossen ist, im Gegenteil: die weitere Gentrifizierung (Aufwertung des
Stadtteils) wird vorangetrieben. Kein
Wunder: die Gründung des TV-Projektes wurde von der IBA finanziell bezuschusst.
Wer dachte, mit dem offiziellen Ende der IBA Hamburg (Internationale Bau-Ausstellung)
würde diese verschwinden, täuscht sich. „Inselflimmern“
liegt voll auf Gentrifizierungs- und IBA-Kurs. Mit diesem TV-Format wird
das Image des Stadtteils für Investoren, Touristen, Gutverdienende, Fortschrittsgläubige
und SPD-CDU-Grüne optimiert. Die Sendung erfüllt multiplikatorische Funktionen,
die seit Jahrzehnten von Richard Florida,
dem Guru des Gentrifidingsbums, propagiert werden: Investition in kreatives
Potential, Umstrukturierung der Bevölkerung, Zuzug von weiterem kreativem
Potential, Fokussierung auf bestimmte „interessante“ Projekte, Apeasement statt
Austragung von Konflikten ... in der
Folge Zuzug auch von Investoren, entsprechendes Echo und flankierende Maßnahmen
in den Medien ... GENAU SO ging die IBA vor – nur daß wir nicht ahnten, daß sie
„kreatives Potential“ zwar benutzen - aber im Handumdrehn selbiges auch entsorgen würde, wenn sie es nicht mehr
brauchte bzw. das „kreative Potential“ sich kritisch (: ganz schlimm!) äußerte.
Auch
bei diesem neueren TV-Format legt man bzw. Frau kein Interesse auf kritische
Hinterfragung. Die Moderatorin der letzten Sendung, die auch zur zweiköpfigen
„offiziellen“ Leitung des Redak-tions-Teams gehört, fackelt nicht lange, wenn ihr etwas nicht passt. Vor zwei Jahren
kickte sie eine Veranstaltung des Wilhelmsburger Kunstbüro im Rialto-Kino aus
dem Programm – mal so eben. Gentrifizierung bedeutet, daß im Zweifel nicht hinterfragt,
sondern ausgegrenzt wird. Konflikte werden nicht ausgetragen, sondern
verschoben oder totgeschwiegen. Man/Frau ist auf das einzelne Individuum nicht
angewiesen. Es wird mit der Schablone „kreatives Potential“ gehandlet. Ggfs.
wird das „kreative Potential“ gehätschelt - wenns dem Image dient. Im Übrigen
aber gilt es als austauschbar.
Die
Alternative zu vorgestanztem technisch brillantem TV wäre: Experimentieren, aus
der Experi-mentier-Phase Beispiele zeigen – Entstehungs-Prozesse sichtbar
machen. So ähnlich ist übrigens schon Andy Warhol mit seinen Filmen angefangen.
Mut zum Dilettantismus. Wie auch Mut zu Ehrlichkeit. Das Eine nicht ohne das
Andere. Schon die IBA hatte daran keinerlei Interesse. Sie forderte
vorzeigbare, konsumier-, etikettier- und prämierbare Produkte. Unsicherheiten,
Unzulänglichkeiten, mangelnde Kompetenz, methodische Fehler etc etc wurden
komplett ausgeblendet. Mit anderen
Worten: Die publizistische Arbeit war total verlogen - jeder Konflikt wurde mit Apeasement
glattgebügelt, Kritiker und Streithähne totgeschwiegen. Zum Schaden der
Kreativität.
„Inselflimmern“ ist ein noch junges TV-Format. Auch wenn es
sich ausgereift ausgibt.
Ich persönlich schau mir lieber wirklich junge Filmemacher an. Die noch nicht mit technischer
Brillanz kompensieren, was ihnen fehlt. „Ehrliches“ TV mit anderen Worten. Ehrliche
Konkurrenz, ehrliche Blamage, ehrlicher Triumph. Oder auch: stockdoofes,
beklopptes TV. Das kann natürlich auch von erwachsenen Menschen kommen, ja
90-jährigen. Lieber Bekloppten-TV als politisch saubere Brillenputz-Tücher. Raimund Samson
4 Kommentare:
Inselflimmern ist kein Gentrifizierungs- und IBA-TV-Format!!!! Weiß nicht wie Du darauf kommst??? Inselflimmern ist Bürgerfernsehen mit kleinen Beiträgen aus und über den Stadtteil. In einem 3 bis 4 minütigen Beitrag kann man Themen nur sehr selektiv Anreißen und schon gar keine Lösungen bieten. Das will das Format auch nicht!
Werter Herr Gerulat, hätten Sie die Sendung + meinen Kommentar aufmerksam angesehen bzw. gelesen, wüssten Sie, daß "Inselflimmern" u.a. genau das tut, was Sie bestreiten, nämlich "Lösungen bieten". Der Kommentar des Imams bzgl. "Radikalisierter" zeigt, welche Lösung er hat, nämlich: "in die Ecke zu treiben, also auszugrenzen … dh Identifikation weg von radikalem Gedankengut". Ironischerweise entspricht diese angebotene "Lösung" genau dem, was die IBA mit einigen Kritikern d.h. "Radikalisier-ten" anstellte. Sie grenzte sie aus und schuf "Identifikation weg von radikalem Gedankengut". Darf ich Ihnen eine Brille leihen?? mit höflichem Gruß
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