Dienstag, 10. März 2015

Inselflimmern - Gentrification-TV


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Standort: Hamburg, Elbinsel Wilhelmsburg.
Seit Ende Oktober wird „Inselflimmern“ einmal im Monat von TIDE TV ausgestrahlt. Ich sah mir eine Sendung (ca. 15 min) an. Mein erster Eindruck: Technisch (Kameraführung, Schnitt) höchst professionell gemacht. Zweiter Eindruck, die Inhalte betreffend: 100 % political correct. Probleme mit der Integration von Ausländern bzw. Migranten scheinen nicht zu existieren – höchstens haben Migranten Probleme miteinander. Ein Imam findet, im Zusammenhang mit einem Bericht über ein Theaterstück deutliche Worte. Es gebe ein „starkes Bedürfnis, eine innerislamische Differenzierung vorzunehmen, dh die Radikalisierten in die Enge zu treiben, also auszugrenzen ... dh Identifikation weg von radikalem Gedankengut“ (Zitat aus der Sendung). Übertragen auf die heutige Situation erscheint die Forderung „nachvollziehbar“, weil wir alle den Islamisten-Terror aus den Medien kennen. Ob dem Problem jedoch beizukommen ist, indem hier lebende junge Radikale ausgegrenzt werden, ist mehr als fraglich. „In die Enge“ zu „treiben“ bewirkt NICHT eine Abkehr von radikalem Gedankengut, sondern führt bestenfalls zu Stigmatisierung, d.h. Verunsicherung und Lähmung bestimmter Impulse. Was wir momentan erleben, ist eher das Gegenteil: Gerade die Ausgrenzung radikalisiert weiter ... Es gibt, und dies ist mein Haupteinwand, jedoch auch noch andere „Radikale“ unter Muslimen als jene, die Terror befürworten. Es gibt Radikale, die friedlich leben und weder Krieg führen noch Menschen terrorisieren. Es gibt nicht nur Unterschiede zwischen Schiiten und Sunniten, sondern noch andere Untergruppen, denen das Leben schwer gemacht wird. 2010 war, nicht zum ersten mal, der Dichter und muslimische Geistliche Hadayatullah Hübsch Gast des Wilhelmsburger Kunstbüro. Eine Lesung, die ich für ihn in einer evangelischen Einrichtung vereinbarte, wurde in letzter Minute abgesagt, der Dichter ausgeladen. Begründung: In Wilhelmsburg ansässige Muslime könnten sich provoziert fühlen durch eine Veranstaltung mit einem Mann, der der (reformerischen) Richtung des Ahmadiyya-Islam angehört. Leider wird in dem Bericht von „Inselflimmern“ nicht gesagt, welcher Glaubensrichtung der Imam angehört, der dazu auffordert, „die Radikalisierten in die Enge zu treiben, also auszugrenzen“. Man könnte ihn nämlich   freundlich dazu auffordern, am besten gleich die Reisekosten für die „Radikalisierten“ nach Syrien oder Irak zu übernehmen. Oder sollen die „in die Enge“ Getriebenen und Ausgegrenzten besser in Deutschland eine Terror-Zelle gründen? 
Wer sich ein TV-Format wünscht, bei dem flotte „Lösungen“ für höchst komplexe Probleme geboten werden, wird hier gut bedient. Das Sende-Schema erinnert an den Pragmatismus, der auf der Elbinsel jahrelang von der IBA vorexerziert wurde: Konflikte niemals austragen, Probleme schönreden, Kritiker ausgrenzen, vollendete Tatsachen schaffen und anschließend zum Bürger-dialog einladen. Inselflimmern scheint mir ein auf den Stadtteil zugeschnittenes Format, bei dem jede Kritik an Gentrifizierung ausgeschlossen ist, im Gegenteil: die weitere Gentrifizierung (Aufwertung des Stadtteils) wird vorangetrieben. Kein Wunder: die Gründung des TV-Projektes wurde von der IBA finanziell bezuschusst. Wer dachte, mit dem offiziellen Ende der IBA Hamburg (Internationale Bau-Ausstellung) würde diese verschwinden, täuscht sich. „Inselflimmern“ liegt voll auf Gentrifizierungs- und IBA-Kurs. Mit diesem TV-Format wird das Image des Stadtteils für Investoren, Touristen, Gutverdienende, Fortschrittsgläubige und SPD-CDU-Grüne optimiert. Die Sendung erfüllt multiplikatorische Funktionen, die seit Jahrzehnten von Richard Florida, dem Guru des Gentrifidingsbums, propagiert werden: Investition in kreatives Potential, Umstrukturierung der Bevölkerung, Zuzug von weiterem kreativem Potential, Fokussierung auf bestimmte „interessante“ Projekte, Apeasement statt Austragung von Konflikten ...  in der Folge Zuzug auch von Investoren, entsprechendes Echo und flankierende Maßnahmen in den Medien ... GENAU SO ging die IBA vor – nur daß wir nicht ahnten, daß sie „kreatives Potential“ zwar benutzen - aber im Handumdrehn selbiges auch entsorgen würde, wenn sie es nicht mehr brauchte bzw. das „kreative Potential“ sich kritisch (: ganz schlimm!) äußerte.
Auch bei diesem neueren TV-Format legt man bzw. Frau kein Interesse auf kritische Hinterfragung. Die Moderatorin der letzten Sendung, die auch zur zweiköpfigen „offiziellen“ Leitung des Redak-tions-Teams gehört, fackelt nicht lange,  wenn ihr etwas nicht passt. Vor zwei Jahren kickte sie eine Veranstaltung des Wilhelmsburger Kunstbüro im Rialto-Kino aus dem Programm – mal so eben. Gentrifizierung bedeutet, daß im Zweifel nicht hinterfragt, sondern ausgegrenzt wird. Konflikte werden nicht ausgetragen, sondern verschoben oder totgeschwiegen. Man/Frau ist auf das einzelne Individuum nicht angewiesen. Es wird mit der Schablone „kreatives Potential“ gehandlet. Ggfs. wird das „kreative Potential“ gehätschelt - wenns dem Image dient. Im Übrigen aber gilt es als austauschbar.
Die Alternative zu vorgestanztem technisch brillantem TV wäre: Experimentieren, aus der Experi-mentier-Phase Beispiele zeigen – Entstehungs-Prozesse sichtbar machen. So ähnlich ist übrigens schon Andy Warhol mit seinen Filmen angefangen. Mut zum Dilettantismus. Wie auch Mut zu Ehrlichkeit. Das Eine nicht ohne das Andere. Schon die IBA hatte daran keinerlei Interesse. Sie forderte vorzeigbare, konsumier-, etikettier- und prämierbare Produkte. Unsicherheiten, Unzulänglichkeiten, mangelnde Kompetenz, methodische Fehler etc etc wurden komplett ausgeblendet.  Mit anderen Worten: Die publizistische Arbeit war total verlogen -  jeder Konflikt wurde mit Apeasement glattgebügelt, Kritiker und Streithähne totgeschwiegen. Zum Schaden der Kreativität.
„Inselflimmern“  ist ein noch junges TV-Format. Auch wenn es sich ausgereift ausgibt.
Ich persönlich schau mir lieber wirklich junge Filmemacher an. Die noch nicht mit technischer Brillanz kompensieren, was ihnen fehlt. „Ehrliches“ TV mit anderen Worten. Ehrliche Konkurrenz, ehrliche Blamage, ehrlicher Triumph. Oder auch: stockdoofes, beklopptes TV. Das kann natürlich auch von erwachsenen Menschen kommen, ja 90-jährigen. Lieber Bekloppten-TV als politisch saubere Brillenputz-Tücher.    Raimund Samson

4 Kommentare:

Söan hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Unknown hat gesagt…

Inselflimmern ist kein Gentrifizierungs- und IBA-TV-Format!!!! Weiß nicht wie Du darauf kommst??? Inselflimmern ist Bürgerfernsehen mit kleinen Beiträgen aus und über den Stadtteil. In einem 3 bis 4 minütigen Beitrag kann man Themen nur sehr selektiv Anreißen und schon gar keine Lösungen bieten. Das will das Format auch nicht!

Wilhelmsbook hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Raimund Samson kreativ hat gesagt…

Werter Herr Gerulat, hätten Sie die Sendung + meinen Kommentar aufmerksam angesehen bzw. gelesen, wüssten Sie, daß "Inselflimmern" u.a. genau das tut, was Sie bestreiten, nämlich "Lösungen bieten". Der Kommentar des Imams bzgl. "Radikalisierter" zeigt, welche Lösung er hat, nämlich: "in die Ecke zu treiben, also auszugrenzen … dh Identifikation weg von radikalem Gedankengut". Ironischerweise entspricht diese angebotene "Lösung" genau dem, was die IBA mit einigen Kritikern d.h. "Radikalisier-ten" anstellte. Sie grenzte sie aus und schuf "Identifikation weg von radikalem Gedankengut". Darf ich Ihnen eine Brille leihen?? mit höflichem Gruß