Freitag, 15. Mai 2015

"Friedrich der Große" von Tilmann Bendikowski

Das Buch liest sich locker und leicht, keine Schnörkel, literarisch "sauber", der Autor geht von Beginn an "in medias res": Sowohl Persönlichkeit als auch politische Bedeutung des preußischen Königs beschreibend, aus der damaligen Zeit verste-, aber auch die heutige Bedeutung einbeziehend. Friedrich II (1712-1786), genannt "Friedrich der Große", war eine ungewöhnliche Persönlichkeit: Verheiratet aber ohne Nachkommen (schwul oder homophil?), ein Weiberfeind offenbar, sehr gebildet, den Musen zugeneigt (spielte sehr gut Querflöte, komponierte und brachte es auch auf diesem Gebiet zu einer gewissen Meisterschaft), viele Jahre in engem Kontakt zum französischen Aufklärer Voltaire stehend, der mehrere Jahre in Berlin lebte und zu Friedrichs engstem Umfeld gehörte. Es gibt eine Menge Positives über den Mann zu berichten. Auch seine leidvolle Kinder- und Jugendzeit ist zu berücksichtigen, wenn man den Charakter des Mannes ergründen will. Der Vater, König Friedrich Wilhelm I., war ein äußerst strenger jähzorniger Despot, der seine Kinder, und Friedrich wohl in besonderem Maße, körperlich züchtigte, ja zusammenschlug und auch vor keinem moralischen Druckmittel zurückschreckte. Ein Fluchtversuch Friedrichs mit seinem persönlichen Vertrauten, Leut-nant Katte, wurde strengstens bestraft. Während Friedrich mit Arrest davonkam, der bald gelockert und aufgehoben, wurde sein Freund Katte auf Drängen König Friedrich Wilhelms I. enthauptet - in Gegenwart Friedrichs. Aus heutiger Sicht würden wir den Vater als Psycho- oder Soziopathen bezeichnen - im 18. Jahrhundert waren brutale Erziehungsmethoden jedoch völlig normal. Es ging, unverblümt, um Macht und Macht-Interessen. Mann und Frau heirateten nicht aus Liebe … * Bendikowski beschreibt Friedrich, der sich selbst als "ersten Diener des Staates"  titulierte, in seiner Rolle als absolutistischer Fürst. Friedrich der Große zettelte ohne äußere Not kriegerische Auseinandersetzungen an, etwa indem er Schlesien überfiel und annektierte. Im siebenjährigen Krieg war er praktisch ständig an vorderster Front und ging immer wieder Risiken ein - nicht nur für seine Armee und sein Land, sondern auch für sich selber. * Ich las die ersten rund zwei Drittel des Buchs mit Vergnügen und einigem Gewinn, lernte ich doch etwas für mich hinzu. Ab Seite 231 jedoch, als es um die Einschätzung des Königs und seine Bedeutung in Deutschland ab 1945 geht, bin ich peinlich berührt. Die Nazis und Hitler hatten Friedrich für sich vereinnahmt, indem sie ihn als eine Art Vorläufer und sich selber als Epigonen groß machten. Daran ist mehr Wunschvorstellung als Wahrheit. Zwar war Friedrich auch ein aggressiver Eroberer - wie später Hitler + Co. Aber: zu Friedrichs Zeiten gab es noch keine political correctness im heutigen Sinn, auf der ganzen Welt und zumal in Europa gehörten Eroberungskriege zum politischen Tagesgeschehen, ohne daß sich darüber moralische Entrüstungs-stürme zusammengebraut hätten - am wenigsten seitens der Kirchen. Auf Seite 231 schreibt Bendikowski: "Dass die Alliierten, deren Armeen und deren Zivilbevölkerung unter den deutschen Soldaten gelitten hatten, am Kriegsende gerade diesen Preußenkönig in einer großen geschichtspoliti-schen Geste liebevoll rehabilitieren würden - das wäre geradezu widersinnig gewesen". Auch weiter zeigt der Autor größtes Verständnis für "die Alliierten" … nicht differenzierend zwischen Engländern, Franzosen und Amerikanern - nur die Russen bzw. die DDR-Regierenden werden tendenziös und politisch in eine Schublade gepackt. Hier schreibt ein deutscher Autor 2011, d.h. 66 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, in bestbekannter Sieger-Mentalität (Propaganda) ganz im Sinne der Westalliierten der 40-er und 50-er Jahre. Dabei wird geflissentlich übergangen, daß zB die USA lange nach dem 2. Weltkrieg Eroberungsfeldzüge durchführ(t)en, fremde Länder überfallen-/fielen, in deren Folge Millionen Zivilisten ums Leben kamen … Akkurat und political correct bis ins Knochenmark führt Bendikowski am Beispiel Friedrichs des Großen eine Geschichtsschreibung vor, wie sie -auch wenn er als Zuckerl immer wieder mal ein Augenzwinkern einbaut- mit Vorsatz einseitig Partei beziehend krasser nicht sein könnte. Noam Chomsky wirft deutschen Intellektuellen in dem Buch "absolute Noam Chomsky" vor, feige, autoritätsgläubig und unterwürfig zu sein. Diese Eigenschaften sind m.E. bei Herrn Bendikowski deutlich ausgeprägt - daran ändern auch akribische Recherche, literarisches Feilen und gelegentliches Augenzwinkern nichts. - siehe auch mein Blog vom 19. Juni 2014.
http://raimundsamsonkreativ.blogspot.de/2014/07/noam-chomsky-uber-intellektuelle.html
Ich wunderte mich, daß dieses Buch von 19,95 auf 4,95 € herabgesetzt war. Wahrscheinlich wurden schon andere Rezensenten auf die von mir hingewiesene Schwäche aufmerksam. 338 Seiten, C.Bertelsmann ---
                                                                                  *RS*



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