Mittwoch, 13. Mai 2015

Wilhelmsburger Lieblingskünstler

"Das Auffinden eines Irrtums ist immer ein großer Gewinn, wenngleich keine Freude
 für die, welche den Irrtum verbreitet haben"                (Alexander von Humboldt)
Eines Abends rief mich Marado an und fragte, ob ich in einem Film mitwirken wolle. Es ging um eine Buslinie. Ich hatte von dem Projekt namens "Die wilde 13" bereits gehört. Es waren schon einige Passagen gedreht. In meinem Part ging es um die IBA, die Internationale Bau Ausstellung, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren hunderte Millionen € in Wilhelmsburg investierte. Ihm sei bekannt, daß ich kritisch über die IBA denke. Wie wäre es, wenn ich meine Bedenken vor laufender Kamera formulierte, im fahrenden Bus? Ich brauchte nur anderthalb Sekunden, um mich einverstanden zu erklären.
Gesagt getan. Anderthalb Stunden lang agitierte und spielte ich. Ein junger Mann filmte, eine junge Frau stellte Fragen. Wir fuhren von der Bushaltestelle Mannesallee bis zur Endstation in Kirch-dorf-Süd, und zurück. Mir machte die Aktion Spaß. Ich hatte Animation nicht nur an der Hamburger Uni studiert, sondern jahrzehntelang praktiziert.


Im September 2013 fand die Wilhelmsburger Erstaufführung von "Die wilde 13",  statt. Von meiner Tour d'animation waren 30 bis 40 Sekunden in den Film hineingenommen, leider nicht jene Passagen, die mir am Herzen lagen. Ich machte keine besonders gute Figur, aber es ging hier nicht um Eitelkeiten, sondern um Inhalte. Dachte ich naiv. Einerseits freute ich mich, dabei zu sein, andererseits war ich am Ende des Mega-Events in den Zinnwerken abgetörnt von der KONventionellen, KONsensbetonten, KONformen Veranstaltung, in der die Film-Leute mit viel warmer Luft sich selber feierten und unzählige Gruß-Adressen an ihre Förderer verkündeten. Business as usual. SPD-Kultur. Einlullen, rosarote Brille. Merchandising.
Geradezu BAFF war ich, als ich bald darauf eine mail von dem jg Mann bekam, der mich im Bus gefilmt hatte. Er kritisierte, daß ich ohne Genehmigung bei der Wilhelmsburger Erstaufführung meine Kamera benutzt und auf You Tube ein Filmchen veröffentlicht hatte. Unglaublich: Ein Darsteller eines Films muß um Erlaubnis bitten, wenn er bei einer Präsentation des Werkes Aufnahmen macht und veröffentlicht? Dabei hatte ich nicht mal Ausschnitte aus "Die wilde 13" gezeigt, sondern nur die Atmosphäre der Veranstaltung in den Zinnwerken eingefangen.
Anfang 2014 traf ich Marado zu einem Video-Interview. Es wurde ein "interessantes" Gespräch. Mein Interview-Partner ging die suggestive Art und das hohe Tempo, das ich vorlegte, trocken mit und kehrte zeitweilig das vorgezeichnete Rollen-Schema um, d.h. ich wurde zum "Befragten". Ein von meiner Seite mit viel Spaß und einem gehörigen Schuß Ironie geführter Dialog, in dem ich gegen Ende appelliere "an die Kulturbehörde, an die Sprinkenhof AG, an die SPD, an die Grünen, an Alle: Leute, spielt noch intensiver Theater, ich weiß daß ihr ALLE Theaterspieler seid, ich möchte es nOch intensiver, daß ihrs übersteigert bis zur Ekstase, und dann haben wir Umstehenden, kleinen und großen Kinder auch Spaß, dann können wir uns verbrüdern, können uns sogar umarmen ......... und mit dieser Perspektive werden wir hier in Wilhelmsburg noch einiges auf die Beine stellen ..."


Ich lief im Interview zu großer Form auf und plante, die Kooperation mit Marado fortzuführen. Wie genau, wusste ich nicht.
Vielleicht ergäben sich für mich weitere Möglichkeiten zu spielen. Reden und spielen, agitieren und spielen, schweigen und spielen... 
Ein Bekannter wies mich darauf hin, daß auf GEO online Marado mich als seinen "Lieblingskünstler in Wilhelmsburg" bezeichnete. Dieses Statement schmeichelte mir und weckte gleichzeitig mein Mißtrauen. Wie kann ich der "Lieblingskünstler" von jemandem sein, der mich garnicht kennt? In den ungefähr 7 oder 8 Jahren, die der Regisseur auf der Elb-Insel lebte und seine "konspirativen Küchenkonzerte" produzierte, hatte er nie eine Ausstellung, Lesung oder ein Kunstbüro-Abendessen besucht und mich nicht ein einziges Mal in meinem Atelier aufgesucht, unweit seiner Arbeitsstätte. "Lieblingskünstler"? Marado bezog sich auf das Projekt "Wilhelmsburger Busgalerie", das aber bereits fünf Jahre zurücklag. Wieso bezeichnet mich der junge Mann als "Lieblingskünstler". Was steckte dahinter?
Seit Langem setze ich mich intensiv mit der IBA und deren Umstrukturierungs-Maßnahmen, die bekanntlich nicht nur die Architektur der Elb-Insel fundamental beeinflussen, auseinander. Und zusammen.
Die IBA steckte gigantische Geld-Summen in Projekte, band Künstler zeitweise an sich und ließ sie, war das Projekt beendet, wie einen faulen Apfel fallen. Kritik war nicht erwünscht - es gab nicht mal eine einminütige Arbeits- oder Projektbesprechung zum Ende der Kooperation, nichts, aber unzählige Tonnen bedruckten Papieres mit tiefsinnig gestylten Aufsätzen über Kunst und Kultur, die außer einer handverlesenen Schar von Experten niemanden interessierten, aber offenbar nur einen aufregte: mich.
Das Aufpflücken und Fallenlassen von Künstlern durch die IBA war nicht Ausnahme, sondern durchgehende Praxis. Ich objektivierte diese Vorgehensweise, um nicht in die Beleidigtsein-Falle zu tapsen, indem ich mir klar machte: Der IBA ging und geht es nicht um Künstler und Lebensumstände und Entwicklungs-Prozesse, um meine Wenigkeit und die Gedanken eines Stadtteilkünstlers schon garnicht, sondern um fertige, vorzeigbare Projekte, die in ihr Lego-Land passten. Political correct, nützlichkeits-orientiert, ein bißchen Beuys-Geplapper vom (erweiterten) "Kunst-Begreiff" als Überbau. Zum Zweck der Imageverbesserung: -erstens ihrer selbst (also der IBA), zweitens der Stadt Hamburg, drittens des Stadtteils. 


Message an mich Co: Künstler sollten froh sein, überhaupt Geld zu bekommen. Nach vollbrachter Arbeit werdet ihr abserviert. So ist nun mal die Realität! Kritische Worte = Ausdruck von "Undank-barkeit".  Sowas von PFUI!
Diese Praxis, Kreative zu instrumentalisieren --- und sie wieder fallen zu lassen, ist eine Art Modell, das von bestimmten Leuten und Projekten im Stadtteil übernommen wurde und wird. Nur daß sie, im Unterschied zur IBA, keine Gelder zahlen an die Künstler, die sie benutzen.
Diese Leute sind so geizig, daß sie nicht mal ein Exemplar der DVD von "Die wilde 13" verschenken, als kleine Geste... (Herstellungskosten incl. Umschlag 2 oder 3 €). Regisseur Marado hatte andere Pläne. Ich bekam per mail Einladungen zum THEATER-Stück "Die Wilde 13" zugeschickt, das im Thalia-Theater gezeigt wurde und wird. Nachdem ich das Film-Projekt in meinen Kreisen zeitweise über die Maßen lobte, war ich jedoch nicht so dämlich, mich erneut vor einen Karren spannen zu lassen. Ich brauche Zeit und Energie für wichtigere Dinge.

So viel zum Thema "Wilhelmsburger Lieblingskünstler". 
                                                                                                Raimund Samson

siehe: "Premiere - Die wilde 13" https://www.youtube.com/watch?v=g9ZrUxuxV_s       (2013-9-20)
     http://www.geo.de/GEO/reisen/reiseziele/deutschland/hamburg-was-geht-ab-in-wilhelmsburg-74952.html?p=3                  (2013-5-14)
" ... mit Marco Loredo":         https://www.youtube.com/watch?v=DilofLAlQsA         (2014-2-5)

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