Donnerstag, 12. Januar 2012

Gentrifizierungs-Opfer: A.I.W.


Der „Book+Byte“-Laden in der Veringstraße musste bereits vor längerer Zeit aufgegeben werden, ebenfalls das Computer- und Fahrrad-Geschäft auf der Veddel. Die Fahrrad-Werkstatt verlagerte ihren Sitz vom Veringhof in die Industriestraße. Das „Sammelsurium“-Kaufhaus, das am Berta Kröger-Platz residierte, zog ebenfalls in die Industriestraße, zuletzt gefolgt von der MöWi (Möbel-hilfe Wilhelmsburg), das die Miete für die Räume in der Dierksstraße nicht mehr aufbringen konnte. Die genannten Läden und Einrichtungen waren Bestandteil der A.I.W. = Arbeitslosen-Initiative Wilhelmsburg. Sie erlebte ab ca. 2004/5 einen Boom, als sie über die Beschäftigung von 1€-Jobbern überreichlich mit Geld ausgestattet wurde, so daß nicht nur diverse Werkstätten u.ä. angemietet, sondern auch etliche Mitarbeiterinnen in Festanstellung übernommen werden konnten. Durch die Streichung der allermeisten 1€-Job-Stellen, die der AIW pro Monat jeweils ca. 500 € (Schätzung des Bloggers) einbrachten, fehlen der AIW nun monatlich 25.000 – 30.000 €, um den alten Status aufrecht erhalten zu können. Immerhin beschäftigt die Initiative noch 22 Menschen „nach §16 e“, außerdem sind etliche Leute ehren-amtlich tätig. * Gegründet wurde die AIW als Verein 1989 – im gleichen Jahr wie mein „För-derkreis Wilhelmsburger Kunstbüro e.V.“ Bedauerlich an den Problemen der AIW ist, daß sie aus einer Selbsthilfe-Initiative vor Ort entstand, an dem viele Wilhelmsburger beteiligt waren bzw. noch sind. Sie leistet seit einigen Jahren Basis-Arbeit, teilweise unbezahlt, und ist relativ gut im Stadtteil verankert. Die AIW ließ sich etwas blauäugig von dem Hype, der bereits im Vorfeld der Umstrukturierungsmaßnahmen durch IBA und igs einsetzte, dazu verleiten, überhastig zu expandieren nach dem Motto: „Was wir an Geldern kriegen können, nehmen wir mit“. Die sehr gute finanzielle Unterstützung des Staates bzw. Arbeitsamtes durch die 1€-Jobs wirkte uneigennützig. In Wahrheit erwartete das Arbeitsamt jedoch, daß die 1€-Job-Stellen für möglichst viele nur eine Zwischenstation bei der Rückkehr auf den „ersten Arbeitsmarkt“ sein sollten. Tatsächlich wurde höchstens eine Handvoll Leute in Festanstellung vermittelt. Zumindest bis 2007 war ich der Einzige (!), der über einen bei der AIW begonnenen 1€-Job für immerhin zwei Jahre in Festanstellung kam (2006-2008 in einem Altenheim, 20 Std. pro Woche). Dankbar bin ich dem AIW-Geschäftsführer Januschek für einen Tip, den er mir mal gab, als ich Unterstützung für ein großes Kunst-Projekt suchte. Ansonsten erfuhr ich bzw. mein Kunstbüro-Verein bei der erhofften Kooperation mit der AIW zahlreiche Nicklichkeiten, unsolidarisches Verhalten oder schlicht Dummheit. Das fing damit an, daß uns nicht gestattet wurde, im „book+ byte“-Laden Lesungen zu veranstalten. Die AIW ließ sich naiv und im Vorgefühl kommender Macht vor den Karren der IBA spannen. Der Kunstbüro-Verein wurde ausgetrickst bzw. ausgegrenzt. Dann die lächerliche Farce um die Theater-Gruppe, die ich leiten sollte ... Ebenso lächerlich das Hickhack um die Wanderausstellung, die vom Kunstbüro FÜR das KWW organisiert wurde. Bis zuletzt hielt die IBA an dem mit viel gutem Willen und noch mehr Dilettantismus und Naivität gestarteten „Kunst Werk Wilhelmsburg“ (KWW) fest, das zuletzt noch aus ein paar AIW’lern bestand, ausnahmslos Nicht-Künstlern bzw. (bestenfalls) Hobbymalern. Der Kunst- und Kultur-Bereich macht bei der AIW nur einen Teil des Aktivitäten aus. Dort erlebte ich Inkompetenz und Überheblichkeit in erschreckendem Ausmaß. * Festzuhalten bleibt: Die politischen Kräfte und Mächte, die diesen Stadtteil auf den Kopf stellen und die Bevölkerungs-Struktur spürbar umwandeln wollen, bedienen sich zeitweise einzelner Künstler, bisweilen auch ganzer Gruppierungen Kreativer und Vereine – und wenn sie sie nicht mehr brauchen, lassen sie sie fallen. Diese Vorgehensweise hat System und ist weitgehgend identisch mit dem, was wir „Neoliberalismus“ nennen: Menschen und Gruppierungen als austauschbare Größen. That’s Gentrifizierung! Ich habe zwei Jahre ge-braucht, um auf den Trichter zu kommen und bestimmten Mächten zu mißtrauen. * Ich bin übrigens seit 2006 Mitglied der AIW. Auch aus diesem Grund äußere ich mich so kritisch über die Initiative. * Wir brauchen keine Tränen zu vergießen. Das Deichhaus als Ort für Essenausgabe, Veranstaltungen etc. bleibt der AIW auf jeden Fall. Außerdem: NOCH können die großen Räume in der Industriestraße gehalten werden. * Zu hoffen ist: Daß aus den Erfahrungen Konsequenzen gezogen und gelernt wird. Ich sehe keine Alternative zum kapitalis-tischen System, aber es zeigt sich: Es bringt für manche Probleme keine Lösung. Der einzelne Mensch muß sehen, wie er klar kommt. Wer auf Solidarität setzt, wird enttäuscht. * Der oben abgebildete Ztg.-Artikel stammt aus dem Wilhelmsburger Wochenblatt. *R.S.*

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