Freitag, 22. April 2011

Kunst und Revolution


Vor gut 10 Jahren gab das Kunstbüro Wilhelmsburg die Anthologie Feldpost 2000 - Deutschland wieder im Krieg heraus. In dem Reader, der anläßlich der deutschen Beteiligung am NATO-Überfall auf Serbien/Kosovo entstand, waren Texte (Gedichte, Erzäh-lungen, Briefe) von gut 2 Dutzend AutorInnnen abgedruckt, außerdem zahlreiche Collagen und andere Bilder. Sie behandelten teilweise konventionell, größtenteils aber mit "kreativ pur"-Beiträgen das Thema "Deutschland wieder im Krieg". Meistens Klartext, bisweilen auch ironisch und indirekt. Literatur halt und Kreativität in höchst unterschiedlichen Ausdrucks-weisen. Mit dabei waren Jan Off, Frank Bröker, Uwe Timm (Hrsg. der Anarcho-Postille "espero"), Samir Fansa (schmiß einen Farbbeutel auf Joschka Fischer), Jerk Götterwind u.v.a. Der Schweizer anarchistische Verlag "edition anares bern" schenkte uns netterweise eine isbn-Nummer und half beim Vertrieb.
Das mit großem Aufwand gebastelte 80 Seiten starke Buch wurde ein Flop. Es gab dickes Lob - aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Aber darüber hinaus erreichten wir nur wenige Men-schen. Ich bewahre noch heute einen Restbestand von 150 Expl. Finanziell tat uns der Miß-erfolg nicht weh - es gab eine Bezuschussung vom Bezirksamt Harburg.
Ich war damals nicht nur künstlerisch aktiv, sondern engagierte mich auch bei der Wilhelms-burger "Friedens-Ini". Wir führten Info-Stände durch, verteilten Flugblätter, ich malte Trans-parente. Mit der Anthologie machte ich eine Erfahrung, die mein Verhältnis zur Friedens-Ini und zu Polit-Zirkeln im Allgemeinen negativ prägte. Bei einem Treffen der F.I. stellte ich das Buch vor bzw.: versuchte es vorzustellen. Niemand interessierte sich dafür. Dabei ging es um ein Thema, das bei allen Friedensaktivisten auf der Fahne stand. Niemand machte sich die "Mühe", auch nur einen Blick in die Anthologie zu werfen. Ich stieg aus der F.I. aus. * Für mich war das Desinteresse Ausdruck eines Ressentiments, das in linken Polit-Zirkeln grassiert. Man findet hier oftmals ein Kaderdenken, das von Lenin einst formuliert wurde: Bestimmte Polit-Führer bzw. eine Partei als "Avantgarde", Liberale und Künstler als "nützliche Idioten" der Revolution - die man, je nach Opportunität, vor den eigenen Karren spannt - oder ignoriert. "Kunst" ist in diesen Kreisen "angesagt" und wird goutiert, wenn sie als folkloristisches Dekor instrumentalisierbar ist. Selbstverständlich teile ich diese Haltung nicht. Im Gegenteil meine ich: Kunst in allen Ausformungen ist mehr als Dekor, Mitläufer, Kindergärtnerin gesellschaftli-cher Veränderungen. Nur: Die die "Revolution" oder andere radikale Ideen propagieren, ma-chen sich nur in seltensten Ausnahmen die Mühe, Kunst und Künstler zu verstehen. Sie glau-ben, den großen Durchblick zu haben (psychologisch wie ökonomisch) und es nicht nötig zu haben, sich mit dem komplizierten wie lästigen Thema Kunst und Künstler befassen zu müssen. ** Diese Ignoranz, Vorurteile und mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung erlebe ich in Wilhelmsburg, seit ich 1989 meine Kunst-Aktivitäten startete. Es tut sich einiges im Stadt-teil. Es wird von oben gemanagt und von unten kräftig dagegen angestänkert. Wohin die Ent-wicklung genau führen wird, ist nicht abzusehen. Ich mache mit beim Widerstand von Unten, bewahre mir aber einen Rest Distanz. Ich traue, obwohl (auch) ich unter einem gewissen Druck stehe, denen nicht (trotz gewisser Sympathien), die vorgeben alles besser zu wissen. Kunst ist viel zu kostbar, als daß sie sich anbiedern dürfte bei Revolutionären oder sonstigen Bilderstür-mern. Genauso wenig wie bei staatlichen Institutionen. Diesbezüglich vertrete ich eine anar-cho-syndikalistische Position: nicht vereinnahmbar zu sein ("intransigent"). Ich lasse mich gerne überraschen mit Hinweisen darauf, daß bei den Wilh.burger Ultras eine Offenheit vor-handen ist, die sie über den Tellerrand ihrer ideologischen Positionen hinausblicken läßt. Ich bin skeptisch. Ich vermisse die Offenheit, ohne die es keine positiven gesellschaftlichen Verän-derungen geben kann. Immerhin: Jungen Leuten muß man, mehr noch als älteren, die über mehr Lebenserfahrung verfügen, zugestehen, daß sie Fehler machen. Aus Fehlern kann man lernen. Vielleicht nur aus ihnen.
Zu Beginn der russischen Revolution (frühes 20. Jhdt.) waren Künstler nicht Beiwerk, Dekoration oder nützliche Idioten der tiefgreifenden Veränderungen, sondern Vorläufer, Initiatoren, Protagonisten eben dieser Veränderungen. Dann wurden sie von Lenin und, noch weitaus krasser, Stalin zwangsvereinnahmt. Das wissen heute nur noch wenige.
* Das street-art-Bild fand ich an der Ecke Neuhöfer-/Veringstraße. * R.S.*

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