Dienstag, 13. März 2012

"Staatsfeind" Till Meyer


In seinem Buch „Staatsfeind – Erinnerungen“ beschreibt Till Meyer seinen Weg als jüngster Sproß einer siebenköpfigen Familie, die im 2. Weltkrieg den Vater verlor, über Schuleschwänzen und abgebrochene Lehre zum Protagonisten der „Bewegung 2. Juni“. Die libertär-anarchistische Organisation war seinerzeit für spektakuläre Aktionen verantwortlich, u.a. die Lorenz-Entführung. Damit gelang es ihr 1975, fünf Terroristen bzw. Anarchisten freizupressen. Meyer schildert so detailliert wie spannend diese und andere Aktionen und das Leben im Untergrund, den zermürbenden jahrelangen Kampf, aber auch die Selbstzerfleischung der Genossen untereinander. Meyer war einer der führenden Köpfe. Ihm gelang –eine besondere Leistung- zweimal die Flucht aus deutschen Gefängnissen. Meyer rechnet schonungslos ab in seinen Enthüllungen und Kritik. Dabei macht er vor sich selber, der eigenen Persönlichkeit, Fehlern, Eitel- und Empfindlichkeiten nicht halt. Wer steht schon dazu, daß er im Untergrund mit der Stasi kooperierte? Überleben war alles; die Gesellschaft und sich selber hinterfragen; das Leben riskieren, totalen Streß und insgesamt 13 Jahre Knast in Kauf nehmen. Es geht um die Identität als politisches Wesen und Mensch, die eigene Geschichte in Abhängigkeit von der Gesellschaft. Till Meyer betont in der Neuauflage des Buchs 2008, daß die DDR seinerzeit der bessere Teil Deutschlands war. * Ich verabschiedete mich vor vielen Jahren aus der Polit-Szene, aber es tut gut, mit einiger Distanz am Beispiel T.M. mitzuerleben, was die linke Szene einst bedeutete und was daraus wurde. Die „Bewegung 2. Juni“, von Meyer der „Blues“ genannt, war keine auf Uniformität ausgerichtete Gruppe, auch wenn es eine Hierarchie gab. Reinders, Bommi Baumann + Co. waren mehr linksradikal-libertär, nahmen Drogen (Baumann jedenfalls) – waren anders drauf als Meyer, der eher orthodoxer Kommunist war (DKP-Mitgklied!). Die Zeitungen und das Fernsehen verbreiteten in den 70-er und 80-er Jahren Klischees. Da ist es erhellend, Informationen aus erster Hand zu bekommen. Von einem, der sich nicht mit ideologischen Sprüchen zufrieden gibt. * Ich bezeichne Meyer als Lebenskünstler, obwohl er den Begriff vielleicht ablehnen würde. Ich meine damit: Sich durch unzählige Aktionen, Erlebnisse, Arbeiten, Ekstasen, Depression, Fehler, Schwächen und Stärken immer wieder selbst im Zusammenhang mit der Gesellschaft und der Familie, aus der man kommt, zu analysieren. Und aus der Analyse entscheiden, in welche Richtung es weitergehen soll. Das Leben als verschiedene Phasen begreifen. Ich finde, Meyer verwendet den Begriff des „Politischen“ etwas naiv. Alles ist doch politisch, oder? Und damit ist doch zugleich nichts politisch – oder etwa nicht? Vom Anarchisten bzw. kämpfenden Kommunisten zum Lebenskünstler ist es nur ein winziger Schritt. Es geht um Inspiration und Fasziniertsein. Unabhängig vom Alter. Die Sinn-Frage zu stellen führt m.E. in eine Sackgasse. „Sinn“ kann gemacht, künstlich erzeugt, manipuliert, je nach ideologischer Warte konstruiert werden. Der eigene Körper läßt sich nicht betrügen. Wer erkennt, wie künstlich die Verhältnisse sind, die einem aufgezwungen werden, hat von dieser Einsicht her Möglichkeiten, mit sich und der Lebenssituation umzugehen. Der Künstlichkeit der Verhältnisse die eigene Kunst, Kreativität entgegensetzen. ... Meyer + Co. waren einst Idole für mich, 1974-75 Mitglied der Hamburger „Schwarzen Hilfe“. Da hatte ich auch mit Rainer Hochstein zu tun (später Kronzeuge gegen die „Bewegung 2. Juni“). Hans-Joachim Klein (Überfall auf die Opec) erlebte ich einmal in Hamburg. Und zwar als ziemlich duften, guten typen Typen. Ich bin aber froh, aus dieser Szene ausgestiegen zu sein. Es gibt bessere Möglichkeiten, um sich auszuleben und dazu beizutragen, daß die Gesellschaft anders wird. * Das gut 500 Seiten dicke und wie ein guter Krimi lesbare Buch gibt’s für wenig Geld bei 2001. * ROTBUCH-Verlag, 978-3-86789-029-8 *

Keine Kommentare: