Donnerstag, 11. September 2025

Halt! ... OTTO MÜHL 100 Jahre

Am 16.Juni 1925 wurde Otto Mühl geboren, einer der umstrittensten Künstler des 20.Jahrhunderts.  Mühl erregte in den 1960-er Jahren Aufsehen durch schockierende Happenings, bei denen er mit tierischen und menschlichen Fäkalien, Blut etc. hantierte. Er formulierte es so: "Ich arbeite mit der Phan-tasie der Perversen, um den Milliarden pervertierten Wichteln einmal kräftig in den Arsch zu treten." Zahlreich waren seine Widersacher - er fand aber auch Anhänger, die ihm teils total treu waren. Ich gehörte zu der nicht kleinen Zahl von Schülern und Anhängern, die in den 70-er und frühen 80-er Jahren an Workshops und anderen Veranstaltungen teilnahmen.  1977 und 1981-82 war ich Mitglied der Kommune, die sich in den 70-ern AAO nannte = Aktons-Analytische Aktion. Es gab einen starken Bezug zum marxistischen Psychoanalytiker Wilhelm Reich, zur janovschen Urschrei-Therapie und zum Wiener Aktionismus, zu deren Protagonisten Otto Mühl gehörte.  Anders als Hermann Nitsch und Günter Brus lehnte Mühl aber jahrelang jede Kunst als "bürgerlich" ab und setzte alle Energie, Taktik und pädagogische Fähigkeiten daran, seine Kommune möglichst groß zu machen. °  Über eine Phase der 70-er Jahre veröffentlichte ich 2003 das Buch "Das Paradies auf der Bratpfanne". ° 

1981-82, als ich zum zweiten Mal zur Kommune gehörte und in der Hamburger Filiale lebte, hatte Mühl die Leitung seines Imperiums abgegeben. Er war und blieb die anerkannte Nummer Eins, aber kümmerte sich kaum noch um die "Struktur" -ein nett klingendes Synonym für "Hierarchie"- seiner Organisation. Das auf mittlerweile knapp 1000 Menschen angewach-sene staatenähnliche Gebilde wurde von einer am österreichischen Friedrichshof ansässigen Clique gemanagt und geleitet, die bestens vernetzt war. In Hamburg musste ich erfahren, daß dieser Führungsstil, erfolgreich u.a. durch Zurückhalten von Informationen bzw. Streuen von Gerüchten, man könnte auch sagen: meisterhafte Verlogenheit... faschistoid geworden war.  °°° Mühl focht dies nicht an. Er widmete sich seit einigen Jahren mit totaler Begeisterung und Hingabe der Malerei.  Mit Akribie und Verve, Forscher- und Entdeckerfreude studierte er die Kunst-Geschichte, lernte stilistisch von allen Großen der Malerei und gab sein Wissen an öffentlichen Abenden in der Zentrale am Friedrichshof weiter. Es wurden regelmäßig Info-Blätter zum Thema Kunst und Malerei herausgegeben  Und es kursierten Videos. Sie waren von ansteckender Emphase, extrem lebendig und lehrreich. Ich ließ mich von der Begeisterung anstecken und begann wieder zu malen. --- 
In der Kommune lernte ich sehr viel, in positiver Weise. Ich bekam Anschauungs-Unterricht in Sexualität, sozialem Verhalten und Konkurrenz. Da konnte ich nur staunen und bewundern. Ich war hin und her gerissen... Anfang 1981 kaufte ich 5 Ölkreiden Mühls, die in seiner Auseinandersetzung mit dem Abstrakten Expressionismus entstanden waren. Es waren Minutenwerke, entstanden im Atelier am Friedrichshof, im österr. Burgenland. Damals zahlte ich 50 Mark für die ca. DIN A3 großen Zeichnungen. Ich denke, daß sie auf dem heutigen Kunstmarkt ein Mehrfaches kosten würden - aber ich will sie nicht verkaufen. 

2007 besuchte ich Muehl in Moncarapacho, im Süden Portugals, wohin er sich, nach Absitzen seiner Gefängnisstrafe, mit etlichen Frauen, Männern und Kindern zurückgezogen hatte. Er litt schwer an Alzheimer und konnte u.a. nicht mehr allein gehen. Aber er war ein Kämpfer, der sich geläutert und optimistisch zeigte.  Er kannte mein Buch "Das Paradies auf der Bratpfanne" - was mich freute. Wir un-terhielten uns. Er sagte - auf mein Buch anspielend - daß ihm seinerzeit am meisten die "Dämo-nisierung" geschadet habe.  Von mir nicht bemerkt zeichnete er mich während unseres Gesprächs - und schenkte mir dann die Skizze. °° Jahre später sah ich ein Video von Otto, wohl kurz vor seinem Tod entstanden, in dem er tatsächlich wie ein DÄMON wirkte, wie ein Gespenst. Ich führte dies auf seine schwere Erkrankung zurück - und darauf, daß er sich weigerte, irgendetwas, auch nicht sich selber, zu beschönigen. Er war eine Art Gespenst geworden - natürlich auch ein Mensch aus Fleisch und Blut, aber dann war da auch noch etwas Anderes. Ich wunderte mich jedoch nicht.  Otto Mühl war immer ein Rollenspieler - so erlebte ich ihn in den 70-er und 80-er Jahren, in unterschiedlichen Facetten, Kostümierungen, Grimassen, Posen, ständig experimentierend, forschend. Der Mann war für mich unberechenbar. °°
Später ließ er sich idiotischerweise von besonders fanatischen Anhängerinnen beschwatzen, deren Töchter zu deflorieren. Ein Mann, dem Dutzende Frauen verfallen waren, hatte Sex mit 12 und 13-jährigen!! Auch das noch! ...  Nicht etwa heimlich ... Eine seiner Haushälterinnen erzählte mir, daß Mühl eine Leiter an das Haus stellte, um über das Fenster zu einem der Mädchen zu gelangen ... 
So fiel dann die Kommune auseinander. Es ging dabei auch um Geld, VIEL Geld, um Millionen. Die Kommune war nämlich mittlerweile schwer reich, verfügte über große Ländereien.
Für mich bleiben positive Erinnerungen. Was ich hier kritisch über "Struktur" und Mobbung andeutete, betrifft allein die Hamburger Kommune. Anderswo war es vielleicht viel besser??
Mein Auszug liegt mittlerweile 43 Jahre zurück. Ich möchte die Zeit und die meisten Erfahrungen nicht missen.  

                                                     
  Raimund "Rosinante" Samson



 


   



 


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