Donnerstag, 3. März 2011

Buchhinweis - Michael Bakunin "Philosophische Briefe"


"Ich, Michael Bakunin, der von der Vorsehung Auserkorene" steht in großen Lettern auf dem Cover des im Karin Kramer Verlag erschienenen Buchs. Es enthält Briefe, die der junge Bakunin, Sohn eines Großgrundbesitzers, an seine Familie, Freunde und politische Weggefährten schrieb. Der 19-jährige am 25. Januar 1834: "... Der verflossene Monat war für mich ein Monat der intellektuellen Revolution". Dieser Satz steht nicht zufällig am Anfang des ersten Briefs: Die persönlich-intellektuelle und später gesellschaftliche Revolution war das Lebenswerk des Anarchisten, der sein Leben lang für seine Ziele arbeitete und sich aufzehrte. Ich bin begeistert von dem Buch, weil der Autor einen tiefen Einblick in sein Seelenleben und seine geistige Entwicklung gewährt. "Es reizte mich nie besonders, in der vornehmen Gesellschaft zu leben", schreibt er im gleichen Brief an seine Schwestern. Bei dieser Haltung blieb er zeitlebens. Die Mitteilungen künden von einem überbordenden Temperament und einer Herzensfülle, die geradezu religiöse Dimensionen erreicht. "Also, meine lieben Freundinnen, Ihr werdet mich nicht wiedererkennen. Ich bin ganz anders geworden, und zwar nicht zu meinem Nachteil, wie ich denke." * So äußert sich einer, der nicht als Stratege -über eine Generalstabskarte gebeugt- die Gesellschaft von Grund auf ändern will, sondern ein Mensch, der von sich selber ausgeht, vom eigenen Erleben. Der junge Idealist fing gerade an, sich mit Geschichts-Theorie und Philosophie zu beschäftigen; dabei waren ihm akademische Grade zeitlebens unwichtig. "Alle Gegenstände, jede Pflanze und jede Blume sprechen in der Sprache der Liebe mit mir, in jedem von ihnen lese ich eine besondere Idee, besondere Gefühle, die mit dem Gefühl der grenzenlosen Liebe und mit dem hohen Gedanken der allmächtigen Ursache aller Welten harmonisieren! Dann entbrenne ich selbst in Liebe, in flammender, reiner und selbstloser Liebe..." Er ist sich seiner schwankenden Gemütsverfassungen bewusst, kennt die Gefahr, die von dieser Labilität ausgeht. "Ich muß also ununterbrochen beschäftigt sein, es ist das einzige Mittel, das mich beruhigen kann." ** Gemessen an späteren Publikationen, an Werken wie "Gott und der Staat" und "Staatlichkeit und Anarchie" wirken die Briefe naiv und kindlich in ihrer Impulsivität. Bakunin war noch weit davon entfernt, systematisierend und dogmatisch fixiert Gedankengebäude zu entwickeln, mit denen er später die totale Freiheit von allen weltlichen und metaphysischen Mächten forderte. Es fließt nur so aus ihm heraus. Bakunin läßt seine Familie und Freunde und nun auch mich, beinahe 200 Jahre später, an seinem Lebens-Abenteuer teilhaben. Hier äußert sich ein emphatisch-ekstatischer Charakter, ein Mensch, der anfangs eher Künstler und Mystiker war, bevor er ins "politische Fach" überwechselte. *** Karin Kramer Verlag Berlin, ohne isbnb, 168 Seiten; *R.S.*

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