Dienstag, 15. März 2011

Peter Paul Zahl - "Die Glücklichen"


Der anarchistisch-linksradikale Roman erschien 1979. Damals verbüßte der Schriftsteller, der im Januar im Alter von 66 Jahren starb, noch eine Gefängnisstrafe wegen zweifachen Mordversuchs und Widerstands gegen den Staat. Die Handlung spielt im Berlin der 60-er und 70-er Jahre. Protagonisten sind die Tresorknacker und Diebe Jörg und Niko und die Freundinnen Ilona und Martha und deren Dunst- und Freundeskreise. Sie ziehen in eine Kommune. Mit von der Partie ist Mutter Hemmers, eine Prolo- und herzensgute Frau, Mutter von J. und N. * Zahl baut seinen Roman sehr abwechslungsreich auf. da wechseln hoch-lyrisch erzählende mit berlinernden Passagen. Die Perspektive wechselt: Mal erzählt ein Mann, dann Ilona, eine ex-rauschgiftsüchtige Prostituierte, die durch Panzerknacker Jörg ins linksradikale und RAF-nahe Lager wechselt. Der Autor mischt Milieu-Schilderung mit provokanter politischer Aussage, stellt z.B. die Drogen-Ga-noven-Scene neben den persischen Geheimdienst SAVAK und dessen Aktivitäten in Berlin zu Schah-Zeiten. * Teilweise brachte mir das Buch großen Spaß bei der Lektüre. Zahl flunkert und emotionalisiert wunderbar und berührt mich -anders als gewisse linke dogmatische Schriften - tatsächlich, packt mich bei meinen Gefühlen. Der Autor scheut sich nicht vor gewissen Niederungen, wo ihn der pure Haß - oder ist es 'Ehr-lichkeit`? - dazu bringt, Polizisten als 'Schweine' zu verhohnepiepeln - seitenlang. Das erscheint sehr gewollt, gekünstelt in seinen Formulierungen. Erträglich sind solche Passagen, weil der Autor es nicht beim Haß bewenden läßt. Sein vernichtendes Urteil über gewisse Menschen in Uniform ist nur ein Teil des anarchistischen Epos. PP Zahl verfügt über eine satte Portion Humor und Körper-Gefühl - und so empfinde ich den Untertitel "Schelmenroman" als überaus zutreffend. * Man muß die Situation des Autors verstehen, um seine Wut zu begreifen. Schreibend kämpft er um seine geistige, emotionale und darüber auch um seine politische Identität. Es geht vordergründig um Ganoven-Szene und linksradikale Politik, auf einer anderen Ebene aber auch um biografische Brüche und Verstümmelungen, die dem Individuum durch die Gesellschaft zugefügt werden ... UND um deren Überwindung bzw. Versuche, sie zu überwinden. Frei nach dem Motto: man kann nur Mensch sein in dieser Gesellschaft, wenn man GEGEN die Verhältnisse anlebt. "Die Glücklichen" ist ein Buch des Widerstands. Am Ende des mehr als 500 Seiten starken Romans geht dem Autor ein wenig die Puste aus. Die Schilderung der noch in der Wiege liegenden Tochter Jörgs und Ilonas erscheint mir seltsam "altklug". Und dann die Ballonfahrt am Ende zu Mama Hemmers (a la Jean Paul) finde ich ziemlich aufgesetzt. Trotzdem empfehle ich das Buch wärmstens. "Die Glücklichen" ist der einzige wirklich SUBVERSIVE Roman (vom Thema und von der formalen Gestaltung her), den ich in den letzten 30 Jahren gelesen habe. Last but not least wegen einer in das Werk eingeflochtenen Ausgabe der Zeitung "Der glückliche Arbeitslose" (mit vielen Zeichnungen, Comics, Collagen). * Ein political non correcter Roman ... Wie ANDERS dagegen die heutige Linke, die auch in ihrer Sprache viel gleichförmiger ist als Radikalen der 60-er und 70-er Jahre. * Rotbuch-Verlag, isbn 3-88022-702-0 ; wohl nur noch antiquarisch erhältlich; *R.S.*

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