Samstag, 8. Juni 2013

Robert Fleck über die Mühl-Kommune

Robert Fleck, ehem. Chef der Hamburger Deichtorhallen, lebte nie in der Kommune des Aktionisten Otto Mühl, hatte als Jugendlicher aber Kontakt zu der Gemeinschaft. In "DIE MÜHL-KOMMUNE", Freie Sexualität und Aktionismus. Geschichte eines Experiments" liegt der Schwerpunkt bei der Be-schreibung der frühen Phase (ab 1972) sowie in der Untersuchung der künstlerischen Bedeutung Mühls und seines Kommune-Projektes. Die Basis des einen intellektuellen Standpunkt einnehmenden Buchs sind eigene Erlebnisse sowie Recherchen, bei denen der Autor ehemalige Mitglieder der aao (= aktions-analytische aktion) - Führungsetage befragte. Flecks Ansatz ist kunst-historisch, weniger kritisch-moralisch. Ich finde ziemlich genaue Beschreibungen jener Situation, als Mühl mit anderen WIENER AKTIONISTEN wie Brus und Nitsch und Leuten wie Weibel, Frohner, Wiener u.a. kooperierte, mit der Gründung der Kommune dann aber einen Bruch vollzog, um die Ideen des Aktionismus ins "reale Leben' zu überführen. Fleck verwendet für seine Beschreibung keine Pseudonyme, sondern benennt, soweit ich es überschauen kann, alle Beteiligten mit ihren realen Namen. Er erinnert an jene Phasen der Kommune-Geschichte, in denen selbige für riesiges Aufsehen sorgte, als sie gegen die herrschenden Moral- und Verhaltensnormen agierte und nicht nur Ablehnung durch die Gesellschaft, sondern auch die Eifersucht vieler Linker heraufbeschwor, die ebenfalls auf den Umsturz dieser Gesellschaft hin-arbeitete, aber einseitig auf Veränderung ökonomischer Strukturen setzte und die Hierarchie der Mühl-Kommune strikt ablehnte. * Fleck beschreibt einen Besuch Oswald Wieners, eines ehemaligen Mit-streiters Mühls, in der Berliner Filiale der Kommune. Der Mann "ist in den Feldern Philosophie, Kybernetik, Wahrnehmungstheorie, Psychoanalyse und Kunst überaus bewandert" und versuchte Mühl nachzuweisen, "daß er die Psychoanalyse ebenso mißverstehe wie die Idee der freien Gesell-schaft und daß er den gleichen Fehlschuß begehe wie im "Wiener Aktionismus" der sechziger Jahre, nämlich den Wirklichkeitsbegriff zu überschätzen. Eine unmittelbare Realität schaffen zu wollen, könne nur ein faschistisches Gebilde ergeben". Mühl, der zum Zeitpunkt des Besuchs Wieners gerade in Berlin weilte, nutzte die Gelegenheit, um den ihm an intellektuellem Format überlegenen O.Wiener vorzuführen (interpretiere ich). Wiener ging nach diesem Schockerlebnis auf Distanz zur Kommune, äußerte sich später jedoch noch einmal sachlich, ohne Rachegedanken, über Mühl, den er als "unfaßbar" locker und ihm persönlich sympathisch beschreibt und dem er, als einzigem der Aktionisten, Humor attestiert. ** Fleck zitiert  aus dem Tagebuch einer aao-Führungsfrau, dann geht er weiter mit der Beschreibung von Schwerpunkten der inneren Organisation. Die Kommune war nicht nur erfolgreich durch ständiges Wachsen, sondern es gelang ihr auch, wichtige Kontakte zur Kunst-Szene zu knüpfen, etwa zu Josef Beuys. Gleichzeitig machte die Linke mobil, versuchte Veranstaltungen der aao zumindest zu stören. In dem Kapitel "Beuys ohne Hut"  wird ausführlich ein Besuch  am Friedrichshof beschrieben. Beuys nimmt nicht nur am Selbstdarstellungs-Abend teil und tanzt einen Reigen mit den Kindern. Fleck weist darauf hin, daß der Besuch als bis in Details geplante Inszenierung durchgeführt wurde: In Sachen PR war die Kommune von Anfang an clever. Sie verstand es auch, Künstler vor ihren karren zu spannen.
Dieter Rot erzählte mir von seinem Besuch am Friedrichshof. Er spielte dort u.a. in einem Film mit. Darin stellte er einen Maler namens "Kiesellack" dar. In dieser Rolle malte er auch. Zum Ende seines Besuchs wollte er diese Bilder mitnehmen, was ihm aber verweigert wurde. Da er sie mit "Kiesellack" signiert hatte, seien sie nun Teil der Requisite und gehörten der Kommune. Auf diese Weise gelangte die Kommune, u.a. dank des Mühl-Schülers Theo Altenberg, in den Besitz zumindest eines Werks des weltberühmten Dieter Rot, ohne einen Schilling zu bezahlen. Ob Rot das bzw. die Werke irgendwann zurück bekam, weiß ich nicht. Zweifellos wäre es naiv, Mühl allein die Schuld für derartige Trickse-reien zuzuschieben. *** Ansatzweise beschreibt Fleck "Unregelmäßigkeiten" bzw. Cleverness der Kommune bei der Beschaffung öffentlicher Gelder. So soll allein die Berliner Filiale 1,5 Millionen DM an Senatsgeldern bezogen haben. Während der späteren Prozesse gegen Mühl u.a. wegen sexuellen Mißbrauchs u.a. sollen Millionen an Schweigegeldern geflossen sein. Über diese Dinge erfahre ich jedoch nichts durch Flecks Buch, sondern weiß sie aus Zeitungsartikeln. --- 255 Seiten, Verlag der Buchhandlung Walter König ...  

                                                                           *RS* 

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