Montag, 4. Juni 2018

R.I.P. Dieter Kunzelmann

Am 9. Mai starb, im Alter von 78 Jahren, Dieter Kunzelmann. Nun ist eine Ikone des deutschen Linksradikalismus der 60-er und 70-er Jahre tatsächlich tot. 1998 gab er, statt eine Haftstrafe anzutreten, eine Todesanzeige für sich auf. Ein typischer Kunzelmann-Streich, wie sich später herausstellte. Neben Fritz Teufel und Rainer Langhans war K. das prominenteste Mitglied der Berliner Kommune 1 (K 1), die sich zum Ziel setzte, die deutsche Gesellschaft von Grund auf umzukrempeln. Die Kommunarden waren antikapitalistisch eingestellt. Mit ihren Aktionen zielten sie jedoch weniger auf die deutschen Wirtschafts-Strukturen als darauf, die Klein-Familie als "Keimzelle des Staates" zu attackieren - und Alternativen zu ihr aufzubauen. Eine Kommune (Lebens-Ge-meinschaft) als Gegen-Modell zu bürgerlicher Ehe, zu verkappter psychischer Störung und Sexualunterdrückung. Mir leuchtete dieses Ziel in den 70-er Jahren ein, da ich mich selber als "neurotisch" empfand - und als Ursache meine kleinfamiliäre Erziehung sah. Mitte der 70-er und Anfang der 80-er Jahre lebte ich selber in einer Groß-Kommune, welche die bürgerlichen Normen inclusive der Kleinfamilie ablehnte. Wir orientierten uns stark an Wilhelm Reich. Die Kommune 1 war für uns natürlich ein Begriff, aber kein Vorbild, da sie -im Unterschied zu unserer Gemeinschaft- antiautoritär strukturiert war (auch wenn Kunzelmann sich als Diktator aufspielte, wie mir später Freund Hadayatullah Hübsch erzählte, der 1969 eine Zeit lang in der K1 lebte.)


Viele Jahre verlor ich die K1 und Kunzelmann aus den Augen, interessierte mich für andere Dinge, vor Allem für KUNST. Ich war selber Künstler geworden und ging einem artifiziellen Brotberuf nach (: Puppenspieler) - bis ich dann, in einem Text von Oswald Wiener, darauf stieß, daß Kunzelmann als KÜNSTLER angefangen hatte. Er war, Jahre vor seiner Kommune-Zeit und den Aktivitäten für die Terror-Gruppe Tupamaros West-Berlin, Mitglied der Künstler-Gruppe SPUR und der Situatio-nistischen Internationale, dann der SUBVERSIVEN AKTION. Nun imponierte mir der Mann auf einmal wieder. Ich gab in den 90-er Jahren 15 Ausgaben von "herzGalopp - Zeitschrift für Poesie + Lebenskunst" heraus. Die Nr. 8 war Kunzelmann gewidmet, dem Entschwundenen. Der Mann zierte das Cover meiner Zeitschrift, der ich außerdem eine große Collage mit Kunzelmann als Star-Porträt (= Bravo-Parodie) beilegte (s.o.).


Kunzelmann war ein wandelndes Paradox - ein Mensch, der eigene wie gesellschaftliche Wider-sprüche auf die Spitze trieb. Mit Vergnügen. Er wirkte prägend auf die linke Szene, entfremdete sich ihr aber immer wieder - um mit Knall-Effekten, die die Betroffenen keineswegs witzig fanden, auf den Polit-Parcours zurückzukehren. Ein Beispiel: Er warf auf das Auto des Berliner CDU-Bürgermeisters Diepgen ein rohes Ei. Wegen diesem "Attentat" kam es zur zur Gerichtsverhandlung. Es gelang Kunzelmann, trotz Kontrollen, ein rohes Ei in den Gerichtssaal zu schmuggeln, das er dort dem verdutzten Politiker mit den Worten "Frohe Ostern, du Weihnachtsmann!" auf den Kopf drückte. Er war ein Ultralinker, der so "links" war, daß er schon wieder "rechts" wurde - d.h. jenseits konventioneller Maßstäbe agierte. Ein Non-Konformist, der individuell handelte und sich zeitweise verschiedenen Gruppierungen anschloß. 1983 saß er für die "Alternative Liste" im Berliner Abgeordnetenhaus, 1975 kandidierte er für die KPD/AO. 1969 soll er ein Sprengstoff-Attentat gegen die jüdische Synagoge in Berlin geplant haben. Zum Glück zündete die Bombe nicht. D.K. bestritt die Beteiligung, aber mehrere Leute, die ihn gut kannten, lenkten den Verdacht auf ihn. Nein, um Spaß ging es ihm oft nur vordergründig. Dieter K. war ein bitterböser Gegner des Systems, das er auch gewaltsam bekämpfte, weil er es für die Verblödung und Unterdrückung der Menschen verantwortlich machte. Er erhielt mehrmals den Preis, den der deutsche Staat für Hartgesottene und Unbelehrbare wie ihn bereit hält, nämlich: Gefängnis.
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