Dienstag, 30. November 2010

Tod eines Außenseiters


Ich lernte Manfred Kranz 2005 kennen. Er hauste damals in einem Wohnwagen auf der Harburger Bahnhofsinsel, wo ich den Sommer über Landschaften malte. Wir freundeten uns an. Manni war zu stolz, um Sozialhilfe zu beantragen und schlug sich mit Gelegenheits-Jobs durch. Bei Reparatur-Arbeiten auf einem Auto-Schrottplatz verletzte er sich so schwer, daß ein Bein amputiert werden musste. Ich füllte mit ihm Anträge aus und half bei Behörden-Gängen. Auf Dauer war ein Wohnwagen ohne Wasseranschluß und Toilette für einen Behinderten kein Ort. Immerhin hatte er es 7 Jahre darin ausgehalten. Manni erzählte gern und ausgiebig von seiner kriminellen Karriere. Sie begann 1969 mit einem Überfall auf einen Intershop-Laden in Rostock. Sein Kumpel wurde gefasst, ihm gelang die Flucht nach Bornholm. Von dort ging es weiter nach Westdeutschland. Einige Jahre arbeitete er als Seemann. Die Heuer besserte er durch Tresorknacken auf. Ein paar Mal wurde er erwischt und lernte die Justizvollzugsanstalten Lübeck und Neumünster sowie ein holländisches Gefängnis kennen. Meine Unterstützung dankte er mir, indem er bei einem künstlerischen Groß-Projekt als Fahrer half - einen Automatikwagen konnte er auch mit einem Bein bedinenen. Manni erwies über mehrere Wochen als sehr zuverlässig. Von Kunst hielt er nichts - es sei denn, es sprang Geld dabei heraus. Wir machten Touren an die Ostsee, wo er mir einige frühere "Arbeitsstätten" zeigte. Nach dem Mauerfall wechselte er zurück in den Osten, gab seine geregelte Arbeit auf und lebte nur noch von Einbrüchen. Besonders die Tresore von Post-Filialen waren damals noch leicht zu knacken, wie er mir prustend berichtete. Er "besuchte" auch Plez- und Juwelierläden - stets ohne Waffe. * Meine Versuche, Manni in meinen Kunstbüro-Verein oder andere Kreise zu integrieren, schei-terten schon im Ansatz. Der Mann war immun gegen jede Art von Sozialisation. "Mein größter Fehler war, Brüche mit anderen durchzuziehen". Er kam ein paar mal mit zum Grillen - Lesungen und Ausstellungen waren nicht seine Sache. Im September 2008 wurde er mein Untermieter. Nach wenigen Wochen stand die Polizei vor meiner Wohnung. Manfred Kranz wurde wegen Unfallflucht nach einem Crash mit seinem nicht (mehr) angemeldeten Wagen gesucht. Von da an sah ich ihn nur noch selten. Ohne Auto war er aufgeschmissen. Es zog ihn zurück in seinen Wohnwagen im Harburger Hafen, wo er mit raren Gelegenheitsjobs sein Arge-Geld aufbesserte. Zwei Monate später kam es zum endgültigen Bruch. Manni behielt das Untermietgeld ein. Meine Ganoven-Romantik, die Manni mit Erzählungen und Besuchen an alten Wirkungsstätten fütterte, bekam einen gehörigen Knacks. Trotzdem: Wir hatten ein paar gute Momente zusammen. Offensichtlich denken aber Menschen unterschiedlich über Freund-schaft. * Gestern rief mich ein BKA-Beamter an. Manfred Kranz wurde am 17.11. tot in einer Wohnung gefunden. Die genaueren Umstände werden untersucht. Die Polizei versucht Verwandte ausfindig zu machen, die für die Beerdigungskosten aufkommen. Manni wurde 64 Jahre alt. * R.S. *

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