Einige Hamburger erinnern sich: 1989 wurde die damalige GAL-Politikerin und Diplom-Psychologin Adrienne Goehler Präsidentin der Hamburger Hochschule für Bildende Künste. Sie legte sich mit zahlreichen Professoren und Studenten an und ließ es sich nicht nehmen, den gesamten Apparat von Oben aufzumischen. Das sorgte für reichlich Ärger in der Boheme-Szene, wo Männer den Ton angaben und Frauen selten mehr als Models und brave Studentinnen waren. Frau Goehler bekam aber so viel Unterstützung, daß sie 1995 wiedergewählt wurde. Die Goehlersche Renovierungs-Aktion hinterließ Spuren. Heute zeichnet sich die HfBK durch Regelstudienzeit, political correctness und Genderforschung aus.
Die Karriere der Sozialwissenschaftlerin ging weiter. In Berlin wurde sie zur Senatorin für Wissenschaft, Forschung, Kultur gewählt, war mehrere Jahre Kuratorin des Hauptstadt-kulturfonds und gehört/e etlichen Jurys und Aufsichtsräten an.
Es erstaunt nicht, daß Frau Goehler auch im Rahmen der IBA_Hamburg aktiv wird.
In der IBA-Publikation "Die Kunst der Stadtentwicklung" (2009 - im Doppelband KUNST/ Natur) wartet sie mit dem Essay ' "nicht mehr und noch nicht - Perspektiven einer Kultur-gesellschaft' auf. Unter Berufung auf Soziologen und Philosophen wie Jeremy Rifkin, Zygmunt Baumann, Jean Baudrillard u.a. entwirft sie Vorstellungen von einer Gesellschaft, in der das "Strukturdreieck Wirtschaft-Politik-Gewerkschaften" immer unbedeutender werde - und statt dessen, über eine Umdefinierung des Arbeitsbegriffs, die Kreativität des Menschen mehr in den Fokus von Forschung, Politik und Lebensweise geraten werde.
Bemerkenswert ist das Tempo, mit dem Goehler hier angelesene und selbstentworfene Topoi und Thesenlandschaften durchrast bzw. überfliegt. Sie tut dies mit der Geschwindigkeit eines Transrapids bzw. Sportflugzeugs. Die Kultur-Theoretikerin argumentiert mit einer Eloquenz, die kaum zu wünschen übrig läßt - nur: Ihre Thesen, die sie durdch Zitate untermauert und die durch geschliffene Ausdrucksweise brillieren, werden damit nicht zu Beweisen, daß es so kommen wird, wie die Autorin suggeriert. Ich spüre beim Lesen, wie weit entfernt sie ist von den Menschen, um die es in dem Text geht. Es handelt sich eher um Abstrakta als um echte Lebewesen. Goehler spricht vom "Gespenst der Nutzlosigkeit". Wieso "Gespenst"? Ich habe täglich mit Menschen zu tun, die real nutzlos sind, überflüssig, da "arbeitslos". Ich finde auch die Formulierung von der "heraufziehenden Spaltung in globalisierte Reiche und lokalisierte Arme (S. 139) ungenau bzw. unzutreffend. Die Spaltung in, wie Goehler schreibt, "globalisierte Reiche und lokalisierte Arme" haben wir längst. Nur: Durch Gentrifizierung -sprich: Image-Verbesserung- soll der unschöne äußere Eindruck verbessert werden.
Auf S. 140 behauptet Goehler "unrettbar verloren ist die unselbständige Arbeit". Wie das? Wird es in Zukunft keine Angestellten und Beamten mehr geben? Dies wäre eine aus meiner Sicht nicht unerfreuliche Perspektive. Nur: So weit sind wir noch lange nicht. Im Gegenteil - solange es so etwas wie Staat gibt, wird es auch unselbständige Arbeit geben. Ich bin weit davon entfernt, gewisse Verwahrlosungs- und Auflösungserscheinungen als Indiz dafür anzusehen, daß unser Staat am entschwinden sei.
Goehler ist eine brillante Rhetorikerin. Mir ist jedoch das Tempo ihrer Thesen-Aneinanderrei-hungen viel zu hoch. Und: Die Schlüsse, die sie aus ihren Argumentationsketten zieht, sind nicht immer zwingend, sondern meist Ausdruck reinen Wunschdenkens.
Da ist von "Künstlerinnen" die Rede, die "geübter" (S. 140) seien "als andere, denn sie sind von Hause aus spezialisiert auf Übergänge, Zwischengewißheiten und Laboratorien." Da ist etwas dran, denke ich - aber dann lese ich: "Neu ist, daß diese künstlerische Arbeitsweise zu einer Art "Rollenmodell" wird". Hier wird deutlich, daß die Autorin sich viel mit Kunst und Künstlern beschäftigt, ohne selber Künstlerin zu sein. Aus eigener Erfahrung und Erleben weiß ich, daß "künstlerische Arbeitsweisen" (nicht zu verwechseln mit schematischer Massenproduktion von Bildern, Skulpturen, Gedichten etc. -Anmerkung R.S.) mühsame, komplizierte, frustrierende (da immer wieder Grenzen und Unzulänglichkeiten aufzeigende) und dem Betreffenden das Äußerste abverlangende Prozesse sind. Daß unser Government (Staat) wie auch Industrie (Werbung, Massenproduktion etc.) "künstlerische Arbeitsweisen" als "Rollen-Modell" übernehmen möchten, ist nicht von der Hand zu weisen. Nur: Goehler komprimiert höchst komplexe Vorgänge auf ein paar knappe Sätze und Begriffe, die sie nicht näher modifiziert. So entsteht ein theoretisierendes Konstrukt, das sich aktuellen soziokulturellen Tendenzen anschmiegt und scheinbar objektiv ist.
Auf S. 142 bezieht sich die Autorin auf Andreas Liebmann, der sich über "Schriftsteller", "Malerin", "improvisierende Schauspieler/in" ausläßt, um ihrerseits daraus zu folgern: "Die Kulturgesellschaft zielt auf das Wechselspiel ab, das zwischen dem einzelnen Individuum und der regelgebenden Instanz, dem Staat, belebt werden muß. Es geht um die Möglichkeiten der Kultur, hier genauer der Künste und der Wissenschaften, diese experimentellen Selbst-verhältnisse (...) für den gesellschaftlichen Gebrauch zu öffnen."
Da frage ich mich jedoch: Und wenn sich Künstler diesem offenbar als selbstverständlich vorausgesetzten Öffnen "für den gesellschaftlichen Gebrauch" verweigern? Was passiert, wenn sie sich entziehen? Oder sich nur zögerlich öffnen, mit einer gehörigen Portion Mißtrauen? Diese Möglichkeit zieht Goehler erst gar nicht in Betracht.
Modifizierungen des sich Öffnens "für den gesellschaftlichen Gebrauch" können nur von den KünstlerInnen selbst formuliert und auf eine operationalisierbare Ebene gebracht werden. Dazu brauchen sie Unterstützung von Galeristen, Verlagen, Liebhabern (= Amateuren), Mäzenen, Philosophen, Fachleuten jeder Art. Mit anderen Worten: Von Menschen, die sich nicht rein pragmatisch nach Nutzen-Gewinn-Kalkulation mit der höchst komplesen und schwierigen Materie befassen.
Von diesen Menschen gibt es nicht viele. * R.S. *
Die Karriere der Sozialwissenschaftlerin ging weiter. In Berlin wurde sie zur Senatorin für Wissenschaft, Forschung, Kultur gewählt, war mehrere Jahre Kuratorin des Hauptstadt-kulturfonds und gehört/e etlichen Jurys und Aufsichtsräten an.
Es erstaunt nicht, daß Frau Goehler auch im Rahmen der IBA_Hamburg aktiv wird.
In der IBA-Publikation "Die Kunst der Stadtentwicklung" (2009 - im Doppelband KUNST/ Natur) wartet sie mit dem Essay ' "nicht mehr und noch nicht - Perspektiven einer Kultur-gesellschaft' auf. Unter Berufung auf Soziologen und Philosophen wie Jeremy Rifkin, Zygmunt Baumann, Jean Baudrillard u.a. entwirft sie Vorstellungen von einer Gesellschaft, in der das "Strukturdreieck Wirtschaft-Politik-Gewerkschaften" immer unbedeutender werde - und statt dessen, über eine Umdefinierung des Arbeitsbegriffs, die Kreativität des Menschen mehr in den Fokus von Forschung, Politik und Lebensweise geraten werde.
Bemerkenswert ist das Tempo, mit dem Goehler hier angelesene und selbstentworfene Topoi und Thesenlandschaften durchrast bzw. überfliegt. Sie tut dies mit der Geschwindigkeit eines Transrapids bzw. Sportflugzeugs. Die Kultur-Theoretikerin argumentiert mit einer Eloquenz, die kaum zu wünschen übrig läßt - nur: Ihre Thesen, die sie durdch Zitate untermauert und die durch geschliffene Ausdrucksweise brillieren, werden damit nicht zu Beweisen, daß es so kommen wird, wie die Autorin suggeriert. Ich spüre beim Lesen, wie weit entfernt sie ist von den Menschen, um die es in dem Text geht. Es handelt sich eher um Abstrakta als um echte Lebewesen. Goehler spricht vom "Gespenst der Nutzlosigkeit". Wieso "Gespenst"? Ich habe täglich mit Menschen zu tun, die real nutzlos sind, überflüssig, da "arbeitslos". Ich finde auch die Formulierung von der "heraufziehenden Spaltung in globalisierte Reiche und lokalisierte Arme (S. 139) ungenau bzw. unzutreffend. Die Spaltung in, wie Goehler schreibt, "globalisierte Reiche und lokalisierte Arme" haben wir längst. Nur: Durch Gentrifizierung -sprich: Image-Verbesserung- soll der unschöne äußere Eindruck verbessert werden.
Auf S. 140 behauptet Goehler "unrettbar verloren ist die unselbständige Arbeit". Wie das? Wird es in Zukunft keine Angestellten und Beamten mehr geben? Dies wäre eine aus meiner Sicht nicht unerfreuliche Perspektive. Nur: So weit sind wir noch lange nicht. Im Gegenteil - solange es so etwas wie Staat gibt, wird es auch unselbständige Arbeit geben. Ich bin weit davon entfernt, gewisse Verwahrlosungs- und Auflösungserscheinungen als Indiz dafür anzusehen, daß unser Staat am entschwinden sei.
Goehler ist eine brillante Rhetorikerin. Mir ist jedoch das Tempo ihrer Thesen-Aneinanderrei-hungen viel zu hoch. Und: Die Schlüsse, die sie aus ihren Argumentationsketten zieht, sind nicht immer zwingend, sondern meist Ausdruck reinen Wunschdenkens.
Da ist von "Künstlerinnen" die Rede, die "geübter" (S. 140) seien "als andere, denn sie sind von Hause aus spezialisiert auf Übergänge, Zwischengewißheiten und Laboratorien." Da ist etwas dran, denke ich - aber dann lese ich: "Neu ist, daß diese künstlerische Arbeitsweise zu einer Art "Rollenmodell" wird". Hier wird deutlich, daß die Autorin sich viel mit Kunst und Künstlern beschäftigt, ohne selber Künstlerin zu sein. Aus eigener Erfahrung und Erleben weiß ich, daß "künstlerische Arbeitsweisen" (nicht zu verwechseln mit schematischer Massenproduktion von Bildern, Skulpturen, Gedichten etc. -Anmerkung R.S.) mühsame, komplizierte, frustrierende (da immer wieder Grenzen und Unzulänglichkeiten aufzeigende) und dem Betreffenden das Äußerste abverlangende Prozesse sind. Daß unser Government (Staat) wie auch Industrie (Werbung, Massenproduktion etc.) "künstlerische Arbeitsweisen" als "Rollen-Modell" übernehmen möchten, ist nicht von der Hand zu weisen. Nur: Goehler komprimiert höchst komplexe Vorgänge auf ein paar knappe Sätze und Begriffe, die sie nicht näher modifiziert. So entsteht ein theoretisierendes Konstrukt, das sich aktuellen soziokulturellen Tendenzen anschmiegt und scheinbar objektiv ist.
Auf S. 142 bezieht sich die Autorin auf Andreas Liebmann, der sich über "Schriftsteller", "Malerin", "improvisierende Schauspieler/in" ausläßt, um ihrerseits daraus zu folgern: "Die Kulturgesellschaft zielt auf das Wechselspiel ab, das zwischen dem einzelnen Individuum und der regelgebenden Instanz, dem Staat, belebt werden muß. Es geht um die Möglichkeiten der Kultur, hier genauer der Künste und der Wissenschaften, diese experimentellen Selbst-verhältnisse (...) für den gesellschaftlichen Gebrauch zu öffnen."
Da frage ich mich jedoch: Und wenn sich Künstler diesem offenbar als selbstverständlich vorausgesetzten Öffnen "für den gesellschaftlichen Gebrauch" verweigern? Was passiert, wenn sie sich entziehen? Oder sich nur zögerlich öffnen, mit einer gehörigen Portion Mißtrauen? Diese Möglichkeit zieht Goehler erst gar nicht in Betracht.
Modifizierungen des sich Öffnens "für den gesellschaftlichen Gebrauch" können nur von den KünstlerInnen selbst formuliert und auf eine operationalisierbare Ebene gebracht werden. Dazu brauchen sie Unterstützung von Galeristen, Verlagen, Liebhabern (= Amateuren), Mäzenen, Philosophen, Fachleuten jeder Art. Mit anderen Worten: Von Menschen, die sich nicht rein pragmatisch nach Nutzen-Gewinn-Kalkulation mit der höchst komplesen und schwierigen Materie befassen.
Von diesen Menschen gibt es nicht viele. * R.S. *
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