Freitag, 6. Juli 2012

La Vitola (10) - Selbstporträt


Wer heute Briefmarken sammelt, gilt als verschroben, seltsam. Die Preise sind arg in den Keller gegangen. Da muß einer schon ein echter Spinner sein, wenn er so einem Hobby frönt. Für einen Sammler von Zigarren-Bauchbinden gelten Negativ-Attribute bzw. Vorurteile erst recht. Wie kommt ein Mensch auf die Idee, Rauchwaren-Derivate und Etiketten aufzubewahren? Und sogar in Alben einzusortieren oder in Sammel-Mappen zu kleben? Ist das nicht skurril? Hat der Mann einen Spleen?
Bei mir begann die Sache Anfang der 60-er Jahre. Ich war ungefähr zehn, genau weiß ich es nicht mehr, jedenfalls: Mein Vater, passionierter Zigarren-Raucher, zeigte mir ein paar der bunten Papierstreifen, die um die bauchigen braunen Stengel gebunden sind Und er zeigte mir mehr, immer mehr Zigarren-Bauchbinden. Er begann die Dinger zu sammeln – für mich. Ich war fasziniert.  Woher bekam mein Erzeuger die kleinen, kostbar aussehenden Banderolen? Wenn ich mit dem Finger über die Oberfläche glitt, spürte ich winzige Erhebungen. Die Banderolen waren im Prägedruck hergestellt, mit viel Goldfarbe. Ich staunte. So viele winzige Details!... Mein Vater spielte Skat und Doppelkopp, er pflegte die Geselligkeit, auch im Kreis von Handwerker-Kollegen und Bienen-Freunden. Er war begeisterter Imker, der auch diesbezüglich viele Kontakte hatte. Seine Bekannten und Kollegen sammelten für ihn – denn geraucht haben kann er die Zigarren nicht allein. Sowohl von der Menge als auch den unterschiedlichen Sorten her.  * Wir lebten am Niederrhein, in der Nähe zu Holland, und so brachte mein Vater immer wieder auch Banderolen von holländischen Marken mit: hofnar, willem II, karel I, Senator hießen diese Firmen. So wurde die Angelegenheit noch bunter, als sie eh schon war. Es waren immer einzelne Bauch-Binden, keine Serien. Es gab sie zwar damals schon, wie ich heute weiß, aber mein Vater lehnte ab, für solch ein Hobby Geld auszugeben. Die Serien waren nicht teuer, aber ein kleines bißchen kosteten sie doch.
Mein Dad gab mit 80 das Rauchen auf.  Und siehe da: Er lebte noch weitere 21 Jahre. 2008 starb er mit 101 Jahren.
Ich hatte die Zigarren-Bänder-Sammlung mehr als 40 Jahre lang nicht angerührt.  Eine Mappe kam sogar weg, bei einem Umzug.  Aber vor ein paar Jahren besann ich mich. Zwei große Zigarrenkisten, randvoll mit den Bändern, standen in einem Schrank. Ich habe von meinem Vater die Freude an kleinen Dingen, die Begeisterung für Unscheinbares geerbt. Und eine gehörige Portion Humor.
So bin ich selber angefangen, aktiv zu sammeln.
Und ich gebe auch Geld dafür aus. Mit Vergnügen. Bei e-bay kann man preisgünstig ersteigern, und auf der website „de sigarenbandenkoning.nl“ gibt es jede Menge zu kaufen.


Mich regt dieses Hobby auch künstlerisch an. Und ich träume. Ich stelle Collagen her, entwerfe selber Bauchbinden, lasse mich stilistisch beeinflussen usw.  Der kleine Raimund ist groß geworden, aber im Herzen derselbe geblieben. Vor allem: Das Hobby freut und beruhigt mich. Mein Alltag ist nicht gerade arm an Aufregung, Kontroversen und Konflikten. Bei meiner Sammler-Tätigkeit pflege ich alte Tugenden. Nennt  mich „spinnert“, „spießig“ oder „verschro-ben“. Egal! Mir macht es Spaß. Das ist die Hauptsache. Und ich entwickle mich sogar dabei...   *R.S.*   

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