Der Head-Liner des aktuellen Kultur-SPIEGEL ist ein Kracher. Vor allem die Grafiken sind ein
Blickfang. Jindrich Novotny paraphrasiert
traditionelle, linke Sprüche, etwa mit „Alle Rechner stehen still, wenn dein
starker Arm es will“. Auch „Brüder, zur Sonne, zur Freizeit!“ und „Wacht auf, Verdammte dieser Erde“ sind
handwerklich gediegen und witzig. * Autor Tobias Becker überschreibt „Ein Plädoyer gegen die Diktatur der Lohnarbeit“
mit „Schluss.Aus. Vorbei.“ Becker bezieht sich auf die Bücher Dead
Man Working. Die schöne neue Welt der toten Arbeit“ von Carl Cederström/Peter
Fleming, „Hört auf zu arbeiten! Eine Anstiftung, das zu tun, was wirklich
zählt“ von Anja Förster/Peter Kreuz und
„Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu
einer Ökonomie des guten Lebens“. Tobias Becker recherchiert gut und
schreibt lebendig, aber bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das meiste, was
bei ihm innovativ und verheißungsvoll klingt, als kalter Kaffee. Klagen über
den öden Arbeits-Alltag sind alles andere als neu. Unter dem Paradigma „Ausstieg“
werden, seit Jahrzehnten, immer wieder mal Alternativen aufgezeigt
(selten gefeiert) – genau genommen gab es Überdruß und Suche nach anderen
Arbeits- und Lebensweisen auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Psychische Störungen führen zu 59 Millionen
Krankheitstagen pro Jahr“ schreibt der SPIEGEL-Autor. Das mag stimmen.
Trotzdem bedeutet dies noch lange nicht, daß keine Arbeit besser wäre. Denn auch dies ist bekannt: Daß Menschen
nicht automatisch gesunden, wenn sie ihren Job aufgeben oder dauerhaft krank
geschrieben werden. Interessanter wird’s schon, wenn der Autor von „Fluchtversuch“ spricht und „Eine therapeutische Gegen- und
Parallelwelt“ konstatiert, „die das
weitere Funktionieren der Arbeitswelt nur sichert“. Wir können mit einiger
Berech-tigung davon ausgehen, daß der weitaus größte Teil aller verschriebenen
Psychotherapien genau darauf hinauslaufen, nämlich: „das weitere Funktionieren“ des Therapierten in und für die
Arbeitswelt zu gewährleisten. Eine Alternative dazu theoretisch zu entwickeln
ist sehr einfach, aber praktisch wird es schon schwieriger, wenn es nämlich darum geht, Finanziers für die
Therapie aufzutun. Sätze wie „Die Deppen
sind wir, weil das Problem nicht unsere Chefs sind, sondern unsere inneren
Chefs. Wir selbst. Die Deppen sind wir, weil wir im Job gegen unsere
Bedürfnisse handeln ... Die Deppen sind wir, weil wir uns nicht auflehnen,
weder gegen unser Arbeitsethos noch gegen unsere Betriebe, noch gegen unsere
Politik“ lesen sich flott und munter. Ich halte dem entgegen: In der
Arbeits-welt, sowohl in der „freien Wirtschaft“ als auch in den diversen
Dienstleistungs-Sektoren sieht es anders aus als in der Redaktion des
SPIEGEL oder des Kultur-SPIEGEL. Bei dem Job, den ich bis Anfang März noch
innehabe, als Betreuer von geistig und körperlich behinderten Menschen bei aaw
(Alsterdorf Assistenz West) wird knallhart hierarchisch
und autoritär entschie-den. Wer
sich an diese –bis-weilen verschleierte – Hackordnung nicht hält, für den
stehen genug andere bereit, die den Job brav und devot verrichten.
Bemerkenswert an dem mehrere Seiten langen Artikel T. Beckers finde ich u.a., daß er den Bereich der Konkurrenz weitest-gehend ausspart. Die als „Deppen“ dargestellten
Arbeitnehmer sind nicht immer so dämlich, wie sie auf den ersten Blick
wirken. Natürlich kann sich jeder dem
Leistungsdruck und dem genormten Tagesablauf verweigern. Er wird sich dann aber
schnell vor der Tür wiederfinden. Und ob die Alternative: HartzIV-Empfänger zu werden, besser ist als einen von Streß
gezeich-neten Job zu verrichten, das bliebe zu unter-suchen. * Übrigens finde ich den SPIEGEL-Autor von
seinem Schreib-Stil her sehr locker und lebendig. An seinen journalistischen
Fähigkeiten habe ich keine Zweifel. Was jedoch die Originalität der Thesen bzw. Aussagen betrifft, die er selber macht
bzw. untersucht, so gebe ich wenig darauf. Keiner der Gedanken ist neu. Neu ist nur, daß wir, durch
Perfektionierung unserer Kommunikations-Technik, Internet usw. besser
informiert sind denn je. Aber wir sind
auch leichter zu manipulieren und zu verunsichern, meint der Blogger. * Obwohl ich anderer Ansicht bin, bedanke ich mich für den Artikel von Herrn
Becker. Und mache Reklame für den
Grafiker Jindrich Novotny für seinen
coolen, an der Neuen Leipziger Schule (so scheint mir) orientierten
Zeichen-Stil. **RS**
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