Freitag, 29. Oktober 2010

Bücher - Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack


"Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack - Russische Futuristen" ist sehr fein gemachtes Buch, das 2001 in der edition nautilus erschien. Was einem bisher als nebulöse Vorstellung vorschwebte: Da war doch was mit revolutionären Künstlern? ... kann man hier im Wortlaut nachlesen. Was für eine Gegenwelt zu unseren zahlreichen kleinen Genies und mittelmäßigen Provokateuren, die die große Pose lieben und über Schaumschlägerei doch nicht hinauskommen. Chlebnikow, Majakowskij, Kruconych, Burljuk, Elena Guro, Olga Rozanova u.a. gehören zu den heraus-ragenden russischen Künstlern und DichterInnen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also noch vor der Oktober-Revolution, mit Lesungen, Ausstellungen, Experimenten und Manifesten, in denen sie ihre radikalen Ideen kompromißlos formulierten, in die Öffentlichkeit gingen. Sie erzeugten, gemeinsam mit den Arbeitern, Intellektuellen, Teilen der Bauernschaft wie des Bürgertums jene Situation, die zum Umsturz führte. Damals konnten sie nicht ahnen, daß der Massenmörder Stalin, in der pervertierten Nachfolge Lenins, einen bürokratischen Macht- und Terror-Apparat aufbauen würde, in dem Kunst und Poesie gemaßregelt und sie selber vom Staat nur als nützliche Werkzeuge der Propaganda bzw. Idioten angesehen werden würden. Es gibt in der Geschichte kaum vergleichbare Ansätze, die auf höchstem Niveau die bestehende Kunst und Literatur in Frage gestellt und zugleich die Entwicklung neuer Formen vorangetrieben haben. Was etwa zeitgleich im Dadaismus, später in der "Konkreten Poesie" und anderen experimentellen Tendenzen entstand, ist partiell bereits bei den russischen Futuristen zu finden. Der große Unterschied zu unserer Zeit: Es gab weder Computer noch andere Medien, mit deren Hilfe Verfremdungs-Effekte und abweichende Formen in Schriftbild und Sprache so spielerisch leicht hergestellt werden können, wie es heute üblich ist. "Eine Ohrfeige dem Öffentlichen Geschmack" enthält 16 Porträts und vor allem Manifeste, außerdem ein Quellenverzeichnis, ist reich bebildert und stellt somit ein hervorragendes Nachschlagewerk für alle dar, die sich mit der Kunst-Entwicklung der damaligen Zeit genauer befassen wollen. 100 S., isbn 3-89401-383-4 R.S.

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