Donnerstag, 2. Mai 2013

1. Mai mit Pasolini


Roland rief an. Mit ihm war ich in den letzten Jahren ein paar mal zur 1. Mai-Demo gegangen. Gestern hatte ich –wie schon im letzten Jahr- keine Lust, aber Besseres vor. Statt irgendwelchen Parolen hinterher zu laufen und mit einem muffigen, öden Gefühl wieder nach Hause zu trotten, blieb ich gleich dort und legte mich mit einem Buch von Pier Paolo Pasolini  auf die Couch. „CHAOS“, Untertitel „Gegen den Terror“, las ich schon einmal. „CHAOS“ ist eine Art Öffentliches Tagebuch und enthält „literarische Momentaufnahmen, Erinnerungsnotizen, Kommentare zum Zeitgeschehen, Briefe an Freunde und Antworten auf Leserbriefe“. Pasolini entblößt sich selber, zeigt sich als verletzt und verletzbar – und greift immer wieder an. Er befindet sich offenbar permanent in einer Krise. Und läßt nicht nach, die italienische Gesellschaft zu hinterfragen, wie sich selber. Für mich ist das Buch eine Schatztruhe, von intellektueller Brillanz, kompromißlos, sehr persönlich, mehr irrational als rational. Irrational wie das Leben selbst. Marxismus als ein Mittel, um nicht echt verrückt zu werden. Pasolini ist ein in sich widersprüchlicher Schriftsteller – dabei eigentlich ganz KLAR. Gleichzeitig. Immer wieder unterstreiche ich Sätze und Abschnitte, zum Beispiel im Kapitel FEIERTAGE UND KONSUMISMUS: „Dem neuen Kapitalismus ist es egal, ob man an Gott, Vaterland und Familie glaubt. Er hat seinen neuen eigenstän-digen Mythos geschaffen: Wohlstand. Und sein Menschentypus ist nicht mehr der ritterliche oder religiöse Mensch, sondern der Konsument, dessen Glück darin besteht, Konsument zu sein.“ (S. 65)  Das Buch ist prall voll Leben und Gefühl. Und Verstand. Der Autor konstruiert intellektuelle und seelische Landschaften, in denen sich der Leser (:ich) aufmachen und verlieren kann. *** Pasolini erzeugt keine falschen Hoffnungen. Aber er macht Mut. Irgendwie. Mut, zu sich selbst zu stehen.    **RS**  

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