Roland
rief an. Mit ihm war ich in den letzten Jahren ein paar mal zur 1. Mai-Demo
gegangen. Gestern hatte ich –wie schon im letzten Jahr- keine Lust, aber Besseres
vor. Statt irgendwelchen Parolen hinterher zu laufen und mit einem muffigen,
öden Gefühl wieder nach Hause zu trotten, blieb ich gleich dort und legte mich
mit einem Buch von Pier Paolo Pasolini auf die Couch. „CHAOS“,
Untertitel „Gegen den Terror“, las ich schon einmal. „CHAOS“ ist eine Art Öffentliches Tagebuch
und enthält „literarische Momentaufnahmen,
Erinnerungsnotizen, Kommentare zum Zeitgeschehen, Briefe an Freunde und
Antworten auf Leserbriefe“. Pasolini entblößt sich selber, zeigt sich als
verletzt und verletzbar – und greift immer wieder an. Er befindet sich offenbar
permanent in einer Krise. Und läßt nicht nach, die italienische Gesellschaft zu
hinterfragen, wie sich selber. Für mich ist das Buch eine Schatztruhe, von
intellektueller Brillanz, kompromißlos, sehr persönlich, mehr irrational als
rational. Irrational wie das Leben selbst. Marxismus als ein Mittel, um nicht
echt verrückt zu werden. Pasolini ist ein in sich widersprüchlicher
Schriftsteller – dabei eigentlich ganz
KLAR. Gleichzeitig. Immer wieder unterstreiche ich Sätze
und Abschnitte, zum Beispiel im Kapitel FEIERTAGE UND
KONSUMISMUS: „Dem neuen Kapitalismus ist es egal, ob man an Gott,
Vaterland und Familie glaubt. Er hat seinen neuen eigenstän-digen Mythos
geschaffen: Wohlstand. Und sein Menschentypus ist nicht mehr der ritterliche
oder religiöse Mensch, sondern der Konsument, dessen Glück darin besteht,
Konsument zu sein.“ (S. 65) Das Buch ist prall voll Leben und Gefühl. Und
Verstand. Der Autor konstruiert intellektuelle und seelische Landschaften, in
denen sich der Leser (:ich) aufmachen und verlieren kann. *** Pasolini erzeugt
keine falschen Hoffnungen. Aber er macht Mut. Irgendwie. Mut, zu sich selbst zu
stehen. **RS**
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