Das
Buch „Die Verdammten dieser Erde“ des 1924 in der Karibik geborenen Frantz
Fanon genießt Kult-Status. In den 70-er Jahren geisterte es durch die
Diskussionen mit Genossen, etwas Überra-gendes war damit – aus diesem
Grund las ich es nicht. Dieses Mythos-Ähnliche störte mich. Jetzt nahm ich es
doch in die Hand. Ich fand die rororo-Ausgabe in einem Bücher-Regal im
12-er Bus in Berge-dorf. Und war, bin bei der Lektüre schwer beeindruckt. Fanon studierte in Paris, kämpfte auf
Seiten der Resistance und ging dann nach Algerien, wo er sich auf die Seite der
Aufständischen stellte. Die Ver-dammten
dieser Erde“ ist eine Kampfschrift, ein im weiteren Sinn theoretisches Werk
– aber fernab von jedem Akademismus. Fanon
analysiert die Situation der bäuerlichen und städtischen Bevölkerung in
Algerien, aber auch in anderen Ländern. Für ihn gehen die wesentliche Kraft,
die revolutionären Impulse vom Land aus, von den Bauern, und nicht, wie in den
europäischen sozialistischen Bewe-gungen, von den Arbeitern und vom
Stadtproletariat. Aber er untersucht auch die Rolle der Intellek-tuellen. Das
Faszinierende ist die Unmittelbarkeit seiner Darlegungen, seiner Gedanken. Fanon setzte ganz auf Nation und
National-Bewußtsein. Auch die Kultur sah er in einer direkten Verbindung damit.
Mit solchen Gedanken ist heute kein Blumentopf zu gewinnen – Nationalismus ist
bähbäh, gilt als „rechts", pfui. In den 50-er Jahren
herrschten andere Paradigmen; Fanon
ware kein Rechter. Er un-terstützte kompromißlos den bewaffneten
Freiheits-kampf der Algerier, er war ein schwarzer Sozialist. Auch das, merke
ich beim Schreiben, kann ich nur noch mit Vorbehalt so formulieren – schon das
Wörtchen „Schwarzer“ gilt heute als politisch nicht ganz korrekt. ** Woher
kommt die Kraft und Unverstelltheit bei Fanon? Sicher, er studierte und las viel
und wusste von daher auch pointiert und offensiv zu formulieren. Für mich
bemerkenswert ist, daß der Autor ökonomisch argumentiert –das tun die meisten
oder zumindest viele Linke- ohne in einen abgehobenen theoretischen Stil zu
verfallen. Fanon arbeitete als
Psychiater, leitete in Algerien eine psychiatrische Anstalt. Dabei wurde er mit
den Leiden, psychischen Traumata, seelischen Verstümmelungen der Kolonisierten
wie auch der Koloni-alherren konfrontiert. Diese Erlebnisse, die Anschaulichkeit
der verheerenden Folgen der Kolonisation, die sein täglicher Begleiter
waren, ließen ihn so eindringlich
schreiben und fordern. Das letzte Kapitel des Buchs heißt Kolonialkrieg und psychische Störungen. Fanon
untersucht darin sowohl die Leiden der Kolonisierten, als auch die psychischen
Störungen der Folterer. So etwas wäre heute kaum mög-lich.
Immer tiefer rasten bei uns die primitiven Muster des „entweder-oder“ und des „links=gut
/ rechts=böse“ ein. Bei Fanon gibt es Radikalität und Kompro-mißlosigkeit, aber die nicht jene Schwarzweiß-Muster, mit denen heute nivelliert und vereinfacht wird. * Fanon wurde nur 37 Jahre alt. Er starb 1971 in New
York an Leukämie, am selben Tag, als „Die Verdammten dieser Erde“ erstmals veröffentlicht wurde. **RS**
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen