Das dunkelblaue Buch im Format einer umfangreicheren
Broschüre ist schlicht gestaltet: Eine Zeichnung auf dem Front-Cover, auf der
Rückseite drei Fotos. Auf den ersten Blick wirkt die Publi-kation unscheinbar,
wer jedoch zu lesen beginnt, spürt bald:
Inhaltlich handelt es sich um ein Schwergewicht.
Rechtzeitig zur Eröffnung von IBA und igs meldet sich die kritische
Radikal-Opposition Wilhelmsburgs zu Wort. AKU heißt „Arbeitskreis
Umstrukturierung“. Die lose Gruppe gibt es schon etliche Jahre. Ihre Statements
und Artikel publizierten sie in Broschüren („Alles alles verkehrt u.a.“), auf der
eigenen Website und diversen Internet-Foren. Erfreulicherweise finden sich unter den Artikeln zum Thema „Unternehmen Wilhelmsburg“
auch die Namen der Verfasser. Wer sich sorgt, daß sich hierdurch die
Autor_innen dem Verfas-sungsschutz ausliefern, der bekanntermaßen einen
kritischen Blick für alles Kritische hat, dem sei ins Poesie-Album geschrieben:
Alle legalen Mittel des Protestes und der Kritik sind auszuschöpfen. Eine
Bewegung schwächt sich selber und isoliert sich zudem von der Bevölkerung, wenn
unnötig Geheimniskrämerei oder Illegalisierung betrieben wird. In dem 112 S.
starken Buch artikulieren sich Menschen, die unterschiedlich lang auf der
Elb-Insel leben, einen geschärften Blick für die Gentrifizierungs-Vorgänge
haben und in konkreten Projekten mitwirken, bei denen Deutsche wie Migrant_innen
beteiligt sind. „Unternehmen
Wil-helmsburg“ bietet eine Menge
Hintergrund-Informationen. Hier wurde
sehr gut recherchiert, was die diversen Beweggründe und Motive von Politik und
Wirtschaft betrifft, die zu dem führten, was heute über uns hinweg geht. Ein
komplexes Verständnis für die Vorgänge zu haben, scheint mir unverzichtbar,
wenn man nachhaltig kritisieren und so etwas wie eine andere Perspektive oder alternative
Sicht entwickeln will. Mit ihren umfangreichen Untersuchungen und
Beschreibungen bietet „Unternehmen Wilhelmsburg“ eine Basis, auf der
aufgebaut werden kann. Dabei erheben die Verfasser keinen Anspruch auf Vollständig-
oder Endgültigkeit. Ihre Ausführungen sind sachlich, präzise und in gut lesbare
Sprache gegossen. Kapitelüberschriften wie Hochglanz und Schimmel, Untertitel
„Mit der
Buslinie 13 durch eine Hamburger Klassengesellschaft“ , „Inseln, die aus
dem Meere auftauchen“, „Parallelgesellschaften“, „Eine unsichtbare Brücke“, „Wo
wohl doch keine Katzen gekocht werden“ uswusw deuten an, was ich als Leser erfreut zur
Kenntnis nehme: Ein schwieriger und –auch theoretisch- anspruchsvoller Themen
bereich
wird auf lebendige, fast vergnügliche Weise dargestellt. Das macht m.E. die Qualität
der Artikel dieses Buches aus. Es ist radikal von der Tendenz her, ja extrem – aber kommt ganz ohne Kriegsge-heul,
präpotentes Gehabe und Dämonisierung der Gegner aus. Mit anderen Worten: Die
Leser finden Seite um Seite Argumente. Kritik,
Vernunft und ein Hauch von Humor reichen sich die Hand. Und machen sowohl
IBA-Befürwortern wie -Gegnern als auch dem Verfassungsschutz klar: Hier wird
mit sehr viel Kompetenz, Ernsthaftigkeit und gut verständlich Kritik geübt.
Somit sehe ich einige Chancen, daß das Buch dauerhaft und fruchtbar wirken
kann. Mein Respekt! **RS**
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