Ilija
Trojanow, bulgarisch-stämmiger Autor, hat ein feines Gespür für
Menschen und Situationen. Im August letzten Jahres gab er ein Buch heraus, in
dem 15 Autor_innen eine divergierende Band- breite von Denk- und
Aktionsansätzen beschreiben. Es gibt kaum eine politische Richtung bzw.
philosophische Haltung, die schon fast traditionell auf so viel Vorurteile und
Ablehnung stößt wie der Anarchismus. Die Aufsätze von Trojanow, Thomas Wagner, Douglas Post Park, Frans de Waal, Rebecca Solnit
u.a. unterlaufen auf ihre Art Ressentiments und Ängste, mit denen Menschen
etwas abwehren, das ihnen letztlich ein freieres leben ermöglichen würde. Ich
wusste noch nicht, daß es anarchistische Bewegungen auch in Indien gibt.
Libertäre Traditionen in Südamerika und den romanischen Ländern sind etwas
bekannter – dies kommt u.a. von dem großen Einfluß, den Bakunin einst
ausübte. Bei einigen Aufsätzen (David
Graeber, Niels Boeing, Uri Gordon) musste ich genauer hinschauen und traute
meinen Augen kaum: „Ist das wirklich
Anarchismus“? fragte ich mich. Ich merke, daß ich selber Vorurteile habe –
aber vielleicht ist dies auch nicht ganz verkehrt. Papier ist bekanntermaßen
geduldig. Andererseits halte ich Ilja Trojanow für einen sehr kom-petenten
Schriftsteller, und daß Lutz Schulenburg,
in dessen Nautilus-Verlag die Text-Anthologie erschien, sich auf dem Gebiet
Anarchismus auskennt, dürfte unbestreitbar sein. *** Es führt wohl kein Weg an
der Erkenntnis vorbei, daß libertäre Ansätze stets mehr oder weniger de-zentral
sind und von örtlichen bzw. regionalen Besonder- und Gepflogenheiten
mit-geprägt werden. Moderner Anarchismus
scheint nicht mehr so personalistisch orientiert zu sein wie noch in den 70-er
Jahren. „Anarchistische Welten“ bietet reichlich Informationen über aktuelle
Strömungen. Es ist ins-gesamt gut lesbar, auch wenn es um kompliziertere Sachverhalte
geht, praxisorientiert und nicht dogmatisch. Einiges widerlegt meine Haltung
und bisheriges Wissen, aber eines scheint mir auch nach dieser Lektüre unwiderlegt
zu sein: Anarchisten sind mutige
Menschen. *** 224 Seiten, Nautilus Flugschrift, 16 €uro **RS**
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