Das Vorwort „Noch
eine Frage?“ ist so offensiv formuliert, daß ich mich überrumpelt fühle.
Als sei ich ans Meer gefahren einer gewisser Beschaulichkeit wegen – aber dann
fühl ich mich durch die Brandung überrollt. * Bei weiterer Lektüre gerate ich
nach + nach in ruhigere Gewässer, das Thema bzw. die Themen Romantik und Avantgarde werden mir vom
Autor Thomas Raab „nahegebracht“ –
nicht in leicht konsumierbaren Häppchen, aber doch so, daß ich fasziniert bin
und dem Autor in seinen Darlegungen neugierig
folge. Raab reflektiert das Entstehen künstlerischer Avantgarde-Bewegungen,
zu denen er (1860-1880) l’art pour l’art und
den ‚Salon des Refuses’ , DADA (1900-1920) und Fluxus und Wiener Gruppe und Wiener
Aktionismus (1950-1970) zählt. Die Sache ist um einiges komplizierter, als
sich dies mit ein paar Sätzen und Headlinern
wie l’art pour l’art, DADA usw.
ausdrücken läßt. Raab gelingt es auf 91 Seiten, komplexes Geschehen spannend
und ohne Substanzverlust rüber zu
bringen. Mit der französischen Revolution begann in gewisser Weise die
moderne Kunst –interpretiere ich- bzw.
die gesellschaftlichen Voraussetzungen für sie wurden geschaffen. S. 33: „Zweifellos hängt dieses wilde Denken nach
1789 mindestens in Deutschland mit der Orientierungslosigkeit des neu
entstehenden Bürgertums zusammen, das gleichzeitig Produzent und Publikum
romantischer Gedanken ist. Die Romantik ist, anders als die Avantgarden seit
1860, die die romantische Utopie erben werden, „volksnah“. Ihre Utopie passt
zum Aufstiegwillen der neuen Schichten. / In der Institution der „freien
Kunst“, als Sammelbecken dieser Arbeitswilligen, die sich nicht auf den
vorgegebenen Karriereweg zwingen lassen wollen oder von diesem abgedrängt
werden, dürfen nach der Französischen Revolution Utopien das Erbe der Religion
antreten. Der dergestalt „politisierte“ Mensch zögert jedoch noch, der Kunst
„Autonomie“ zuzusprechen. ...“ Raab
ver-bindet Kunstgeschichte und andere geisteswissenschaftliche Disziplinen mit
Naturwissen-schaften (noch deutlicher spürbar in dem Buch „Nachbrenner“). Die zum Teil sehr abstrakten Gedanken und Hypothesen
werden immer wieder konkretisiert bzw. durch Beispiele für mich als Leser anschaulich gemacht, indem etwa in bestimmten
Passagen Namen von Künstlern genannt werden, mit denen ich etwas anfangen kann
(Baudelaire, Flaubert, Artaud, Beuys,
Duchamp uswusw). Nur an einer Stelle
denke ich 1 klein wenig anders. S.41 schreibt Raab von den „kybernetischen zukunftsvisionen in der verbesserung
von mitteleuropa, roman von Wiener“. Wiener
entwickelt, meine ich, modellhaft einen Apparat, der in gewisser Weise
„materialisiert“ und konkretisiert, was unter Kybernetik zu verstehen ist (in
letzter Konse-quenz), aber, denke ich,
Wiener ist zugleich schärfster Kritiker der Kybernetik. Deshalb finde ich Raabs Interpretation „kybernetische Zukunftvisionen“ nicht ganz genau. Vielleicht
inter-pretiere ich selber jedoch Oswald Wieners experimentelles Werk falsch/ungenau.
* Wie auch immer ... Avantgarde-Routine ist ein Buch zum Lesen – und Weglegen – und erneuten Lesen.
Mich regt es an, meinen eigenen Werdegang als Künstler aus einem anderen
Blickwinkel zu sehen, Teile davon. Das Buch ist lebendig, weil Raab introspektiv forscht und „vorgeht“, d.h. sich sowohl
mit sog. „objektiver Realität“ (unsere „Gesellschaft“) auseinandersetzt, und
zugleich in sich selber schaut, sich selber beobachtet. Wie m.E. alle Künstler.
Nur daß sie nicht so analysieren und beschreiben können bzw. wollen. * Ich
empfehle das im Parodos-Verlag (isbn
978-3-938880-21-0) erschienene (Taschen-)Buch "Avantgarde-Routine" allen Künstlern und
Kreativen, aber auch intelligenteren Leuten in radikalen Polit-Gruppen. Es
enthält etliche Gedanken bzw. Thesen, denen nachzugehen sich
lohnt. Etwa die, daß es heute keine
Avant-garde mehr gibt und geben kann. *R.S.*
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