Kiev Stingl? * Bei der Lektüre der Limonow-Biografie
dachte ich an den Mann. Stingl, in den 7o-er und 80-er Jahren Hamburger Underground-Ikone, trat u.A. mit LP’s
wie „Teuf-lisch“, „Hart wie Mozart“ und „Ich
wünsch den Deutschen alles Gute“ in
Erscheinung. Auf der Elb-Insel erschien er 1990 auf einer Kunstbüro-Veranstaltung im Bürgerhaus, für die Vereins-Historie ein
legendäres event. Da die Bürgerhaus-Frauen
den Rocker ablehnten, mussten wir Raum-Miete zahlen. Dann sprach Stingl so leise,
daß kaum ein Wort zu verstehen war. Dabei hatten wir extra eine Anlage
mitgeschleppt – die angeblich „nicht
nötig“ war. Die Gage bekam der Mann im Voraus – mein Fehler. Nach einer
Dreiviertel-stunde erklärte er die Veranstaltung für beendet. Wer mehr hören
wollte, sollte noch mal zahlen. Das tat dann die Hälfte des ca. 30-köpfigen
Publikums. Die Zugabe war nach ein paar Minuten betont lustlosem Geklampfe auf
einer verstimmten Guitarre beendet. Ich ließ mir am Ende sogar noch 4 Mark für
ein doppel-seitig kopiertes A3-Blatt (schwarz-weiß) aus dem Portemonnaie
locken. * TROTZ dieser Total-Verarsche denke ich manchmal an den Typen. Und frage ich mich, weshalb er anscheinend in der Versenkung verschwunden ist. Seit X Jahren. * Ich bewahre
ein Buch von ihm auf, das eine Perle, nein: hochkarätiger Edelstein des german Underground ist. Die
besoffene Schlägerei heißt der Band. Die Mi-schung aus
Pornografie, dissoziativer Totale, Gnostik, Parodie auf Konkrete
Poesie, Rückwärtsschreiben finde ich auch knapp 30 Jahre nach Erscheinen noch
höchst originell, unterhaltsam, total schräg. Einmalig, grotesk. Hyperbolismus vom
Extremsten – dabei völlig cool. Stingl ist inkommensurabel kalt wie Räucherlachs aus der Tiefkühl-Truhe. + kann im nächsten Augenblick
explodieren und auskeilen. Austeilen. Hadayatullah Hübsch erzählte mir von
einer LIVE-Sendung, 1979, wo Stingl mit einer vollen Bierflasche in Richtung H.
warf. Vermutlich ließ sich Stingl von dieser + anderen Situationen zu seiner
1984 im Cyrano-Verlag erschienenen Besoffenen Schlägerei inspirieren. Nirgends findet sich eine Rezi. Wenn man mal so
bedenkt, was heutzutage alles so besprochen wird ... auch aus dem sog.
„Underground“, der total kommerzialisiert ist. * Ich würde den
Mann nie wieder einladen. Unabhängig davon finde ich aber einige seiner Produktionen,
etwa auf der LP „Ich wünsch den Deutschen
alles Gute“, von einer geradezu sensationellen Qualität. Verglichen mit dem
mittelmäßigen Kram, der angeboten wird. * Die Collage ist ein von mir
überarbeitetes Foto aus einer alten Szene-Ausgabe. *R.S.*
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