Mittwoch, 26. Dezember 2012

Eduard Limonow : Fuck Off, Amerika

Ich lese Bücher, weil ich Identifizierungs-Möglichkeiten suche. Ich suche mich mit Anderen zu iden-tifizieren. Offenbar fehlt mir so, wie ich bin, etwas. Natürlich haben weder Limonow noch andere Dichter an mich gedacht, als sie ihre Romane, Erzählungen, Gedichte zu Papier brachten. Sie kennen mich gar nicht und werden mich kaum jemals kennen lernen. Aber ich lese diese Dichter und Schrift-steller, weil ich auf der Suche danach bin, wie ich selbst anders werden könnte. Ist das verrückt? : Über Lektüren ein Anderer werden zu wollen als der, der man gerade ist? * Ich streiche Sätze in Büchern an. Gute Dichter und Schriftsteller sind solche, in deren Büchern ich Sätze finde und manchmal abschreibe, um ihre Wirkung auf mich zusätzlich zum Lesen noch zu verstärken. Als ob ich Pillen einnehme, geistige Nah-rung. Entweder bestätigen die Sätze mich – oder sie weisen mir eine Richtung zu denken, aber auch zu empfinden, auf die ich nicht gekommen wäre oder die ich mich nicht getraut hätte. * Eduard Limonows „Fuck Off, Amerika“ enthält einige Sätze, die mich bestätigen oder mich auf Tendenzen bzw. Richtungen verweisen, die für mich wenn nicht gut, so doch immerhin verlockend sind. Beispiele: S.109/110: „Carol fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, in ihre Partei einzutreten. Nein, ich hatte keine Lust. Intellektuellenclubs stoßen mich ab. Ich halte nichts von diesen Versammlungen, die man sitzend absolviert, um sich anschließend zu trennen und am nächsten Morgen wieder zur Ar-beit zu gehen …“  S.112: „Ich werde magisch von allem angezogen, was aus der Rolle fällt.“  S. 115: „Ich verletze die Leute gern in ihrem Nationalgefühl“, erklärte ich ihr. S. 129: „Dieses provinzielle Verlangen, alle anderen zu übertreffen, die beste zu sein … Ich bin übrigens genauso.“  S. 155: „Denn viele Frauen, die sich emanzipiert nennen, …sind Monster an Gleichgültigkeit geworden. … Ich hasse die Zivilisation, die sich mit der mörderischsten Redewendung seit Anbeginn der Menschheit iden-tifiziert: „Das ist dein Problem“. In diesem kurzen Satz … liegt Rücksichtslosigkeit und Sadismus.“  S. 157: „Den Beruf wechseln, okay, aber kann man auch die Seele wechseln?“ S. 158: „Wir dachten, die Sowjetunion sei das Paradies der Mittelmäßigen, doch in Amerika wisse man Begabung zu schätzen. Welch ein Irrtum! Dort herrscht das ideologische Kalkül, hier das kommerzielle.“  usw. Es gibt noch eine ganze Menge anderer Sätze, die ich hier zitieren könnte. Nicht nur diese, sondern auch die meisten übrigen Sätze, die die Zusammenhänge mit dem Rest herstellen, lohnen sich. Limonow kann erzählen, spannend und provokativ (etwas in mir hervorrufend). Und er hat eine message, eine Botschaft. Nur das Kapitel „Wiedersehen mit Helena“ (S. 229-260), in dem er sich noch einmal ausgiebig einem seiner Haupt-Themen: „Meine große Liebe und ich“ widmet, ist mir auf die Nerven gegangen. Obwohl er auch hier zeigt, daß er schreiben kann.  * KiWi, 280 Seiten,  8 € 90

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