Freitag, 19. Dezember 2025

Einiges über die Schwarze Hilfe Hamburg

Vor rund 50 Jahren gab es in Hamburg eine anarchistische Organisation namens SCHWARZE HIL-FE. Ich trat der Gruppe 1973 bei, während meiner Bundeswehrzeit, die ich, abgelehnter Kriegsdienst-verweigerer, absolvieren musste. Die SH war das libertäre Pendant zur "Roten Hilfe", die aus-schließ-lich sog. "politische" Gefangene betreute. Wir hingegen kümmerten uns auch um sog. "normale Krimi-nelle", also Leute, die wegen Diebstahls, Raub, Mord und anderen leichten bis hin zu schwersten Delikten einsaßen. 

Wir hatten Büro-Räume in Altona in der Langenfelder Str. 64d. Heute erinnert nichts mehr an die damalige Nutzung. Man betrat einen Hinterhof, ging ein paar Meter durch eine Toreinfahrt, stieg eine schmucklose Eisentreppe hinauf und schon war man in der SH-Zentrale. Einmal die Woche war Plenum. Wir waren ca. 10-15 Leute, 10 Männer und 5 oder 6 Frauen. Rainer H. war der Mieter und spielte eine Art Boß. Das war manchen Leuten aus der A-Szene zuwider; sie mieden den Treffpunkt. Rainers Frau Inga war eine "dufte Genossin": offen, hilfsbereit, solidarisch. Unser jüngster war Frank Ziegert. Er machte sich ab den 80-er Jahren einen Namen als Guitarrist, Sänger und Komponist der Punk-Band ABWÄRTS. Ich erinnere mich noch an Toddel, zwei drei jahre älter als ich, ein ehemaliger Fremdenlegionär, der sich später mit dem Zeichner der Werner-Comics anfreundete. 
Es waren sehr nette Frauen da. In eine war ich verliebt, hätte es ihr aber nicht zu zeigen gewagt. An Peter Reske erinnere ich mich, er war mit Lutz Schulenburg befreundet, dem Herausgeber libertärer-anarchistischer Schriften und Gründer des Nautilus Verlags. Peter zeigte mir mal eine Pistole, die er in einem Holster unter seiner Weste trug. °° Seit Jahrzehnten habe ich die Kontakte nicht mehr gepflegt. Als die SH 1975 -oder76- als "kriminelle Vereinigung" verboten wurde, zog ich mich aus der scene zurück. °° Im Internet fand ich, außer Andeutungen, fast nichts über die Hamburger Schwarze Hilfe.   
 Legendär Anfang der 70-er Jahre war die Schwarze Hilfe Berlin, aus der u.a. die "Bewegung 2. Juni" hervorging. Mein Abenteurer- und Romantiker-Herz schlug bei dem Thema höher. Ich fand jedoch nie Hinweise auf eine Kooperaton der Hamburger mit der Berliner Schwarzen Hilfe. Es gab aber ein Treffen mit Delegierten verschiedenen Gruppen aus Hamburg, Frankfurt, Göttingen, Gießen u.a. Städten. An einen Mann erinnere ich mich gut, weil er sehr cool und tough wirkte. Hans-Joachim Klein. Er war Delegierter des RK=Revolutionärer Kampf.
Im SPIEGEL war mal ein Bericht über einen Besuch Jean-Paul Sartres im Stammheimer Gefängnis bei Andreas Baader und anderen RAF-Leuten. HJ Klein saß am Steuer des Autos. HJK wurde 1975 beim Überfall eines international besetzten Terror-Kommandos auf die OPEC-Konferenz in Wien schwer verletzt und nach Lybien ausgeflogen. Später distanzierte er sich von seinen terroristischen Aktivitäten. Das spätere jahrelange Leben in der Illegalität und die Einsicht, einen schweren Fehler begangen zu haben, machte ihm psychisch und mental schwer zu schaffen. °° Am 2.März 1974 wurde in Spanien der 25-jährige
Salvatore Puig Antich wegen Polizistenmord mit der Garotte qualvoll stranguliert. Er soll auch an mehreren Banküberfällen teilgenommen haben. Wir protestierten, indem wir bei einer Bank die Scheiben demolierten, mit Pflastersteinen, die mit unserer Protest-Message umwickelt waren. Direkt anschließend warfen 2 Leute  Bekennerschreiben in die Briefkästen von BILD, MoPo und Abendblatt. °° Der Schwerpunkt, jedenfalls meiner Aktivitäten, lag in der Betreuung von Gefangenen im UG Holstenglacis und in "Santa Fu", dem Fuhlsbütteler Groß-Gefängnis.  ich besuchte einige. Wir kauften auch Tabak, Schokolade und andere Sachen ein, die wir als Paket schickten oder direkt bei unseren Besuchen den Schließern übergaben. Wolfgang St. saß im UG, weil er bei einem Banküberfall mit Sigurd Debus und einem anderen Mann vom HAZ =Hamburger Aktions-Zentrum gefasst worden war.  Sie, die Arbeiter, waren seinerzeit von Straßenarbeitern, wenn ich recht erinnere, jdenfalls Angehörigen der Klasse, für die sie kämpften, auf der Straße festgehalten und der Polizei übergeben worden.  °° Ich las Bücher der russischen Anarchisten Michail Bakunin und Kropotkin -"Die Eroberung des Brotes". Alles, was meine romantisch-radikalen Ansichten bestärkte, war mir recht. Ich las sehr schnell und vrstand nicht alles. 
Nebenbei schrieb ich Gedichte. Meine Genossen interessierten sich nicht dafür. Sie kannten Kropotkin und Bakunin dem Namen nach, aber ich konnte mit ihnen nicht darüber sprechen. Für mich hatten die Bücher eine große Bedeutung; ich war ein Aktivist, der seine Phantasien und utopischen Ideen sehr stark aus Büchern bezog. ° Ich war ein Bewunderer auch vieler zeitgenössischer Schriftsteller, zB Peter O. Chotjewitz und
Fernando Arrabal. Von Chotjewitz besaß ich das Buch "ROMAN". Der Schriftsteller posierte nackt in der römischen Villa Massimo und hatte dazu syrrealistische und zugleich banal klingende Texte verfasst. Chotjewitz war mit Andreas Baader befreundet. Von Arrabal besaß ich ein Buch mit dem geheimnisvollen Titel "Riten und Feste der Konfusion", von dem ich total fasziniert war. In diesen Labyrinth-Stories wird eine neun-monatige Reise des Ich-Erzählers beschrieben. Und dazu gab es noch mich stark berührende Gemälde, in deren Mittelpunkt der Dichter Fernando Arrabal selber stand. Ich konnte nur staunen und bwundern.
Diese Schriftsteller waren mir Stümper weit voraus. Es war richtig, daß ich aus meinem Elternhaus ge-flohen war. Ich wollte meiner Vergangenheit als katholischer Internatszögling entkommen. Ich war auf dem Weg, ein Krimineller mit "politischem Background" zu werden. Dabei war ich stark idealistisch motiviert. Ich suchte ein anderes, besseres Leben als zuvor. Ich war intelligent, aber linkisch und in so-zialen Dinge  gehemmt, vor Allem im Umgang mit Frauen. Ich war nahe an einer Sache, die, stärker noch als die Schwarze Hilfe, meinem Leben eine krasse Wendung geben würde. Aber noch war ich ein Gefangenenhelfer. °° Ein Jugoslawe, der wegen Raubüberfällen in Santa Fu einsaß,  heckte einen Plan aus, wie ich ihn "rausholen" könnte. Er hatte in Oldenburg demnächst einen weiteren Prozeß wegen eines Überfalls, der noch nicht verhandelt worden war. Dabei würde sich eine Gelegenheit ergeben, vor dem Strafjustizgebäude die für den Transport zuständigen Polizeibeamte zu bedrohen und sie zu zwingen, ihm die Handschellen zu lösen. Ich war skeptisch. Es schmeichelte mir zwar, für so ein Him-melsfahrtkommando ausersehen zu sein, aber allein würde ich es bestimmt nicht schaffen."Waffen sind kein Problem", meinte Darko, "in der Marktstraße wohnen ein paar Griechen, sie haben Knarren." Ich schrieb mir die Adresse auf. Und fuhr zwei Tage später dort hin.  Niemand öffnete die Tür trotz mehrfachen Klingelns. Ich war erleichtert. Heute, beim Schreiben dieses Stoffs, denke ich: Der Jugoslawe rief die Griechen an und warnte sie.  Vielleicht war ich ein Spitzel, ein Polizei-Informant? Mit so etwas musste man immer rechnen. Ich war froh, daß aus der hochriskanten Sache nichts wurde. ich hätte kaum die Nerven gehabt, sie durchzuhziehn. °° Es war sicherer, Bücher zu lesen und Gesdichte zu schreiben. Ich lebte mehr als 300 Kilometer von meiner Mutter entfernt. Allein das war schon ein großer Schritt nach vorne. °°° Ich las und las und las...U.a. Wilhelm Reichs "Charakteranalyse". Reich war ein marxistischer Psychoanalytiker gewesen. Das war doch ein interessanter Ansatz! Ich posierte mit dem Buch. Ich war ein idealistischer Wirrkopf. Immerhin. Neurotisch. Naja. Ich wollte ein anderer Mensch werden. Das Leben hielt noch einige Überraschungen parat. 

                                                                                                                  Raimund Samson
 




 


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