Dienstag, 31. Mai 2011

Seltene Gäste


Sancho Pansa: Ihr wirkt bedrückt, Herr!
Don Quichote: Willst du meine ehrliche Meinung wissen?
SP: Sprecht!
DQ: Mir gefällt diese Insel nicht.
SP: Aber hier ist viel Grün!
DQ: Hast du nicht die kalten, rechteckigen Glaspaläste gesehen?
SP: Ihr meint, als wir von Norden auf die Insel gelangten?
DQ: Genau. Wie hieß die Gegend? ... Hafencity!
SP: Aber es gibt noch andere Stellen hier, Flecken zum träumen.
DQ: Überlege, was du sagst. Zwar träume ich bisweilen, bin aber meinem Ideal verpflichtet.
SP: Auch ich träume. Aber offenbar anders. Letzte Nacht-
DQ: Schweig! Du möchtest Wildschweinbraten, Sellerie und gebratene Kartoffeln essen. Es gibt höhere Ziele.
SP: Darf ich noch etwas sagen?
DQ: Nur zu. Aber hüte deine vorlaute Zunge!
SP: Diese Wagen-Leute. Vor einer Woche. Sie hatten Kaffee und Kuchen. Wir mussten nichts bezahlen. Und diese junge Frau-
DQ: Schweig! ... Ja, auch ich war anfangs angetan. Nein, nicht was du vermutest, schäm dich! Gewiß, der Wagenkreis steht an einem bezaubernden Ort.
SP: Zomia. Jetzt fällt mir der Name wieder ein.
DQ: Namen sind Schall und Rauch. ... Und was war eine Woche später? Erinnere dich!
SP: Ach Herr, ich verstehe euren Zorn.
DQ: Sie ließen uns in unserer bescheidenen Herberge einen ganzen Abend lang warten. Rosa-linde hatte eigens Speisen ohne Fleisch zubereitet.
SP: Solche Menschen nennt man Vegetarier.
DQ: Schlimmer noch!
SP: Was gibt es Schlimmeres?
DQ: Lügen. Diese Menschen haben uns etwas vorgegaukelt.
SP: Rosalinde ist noch heute wütend. Ihre Gastfreundschaft verschmäht.
DQ: Noch schlimmer!
SP: Kann es etwas Ehrloseres geben?
DQ: Was redest du? ... Gewiß, diese Menschen kennen keine Ehre.
SP: Aber Herr, woher wißt ihr das?
DQ: Noch so eine dumme Frage, Sancho, und ich werde eine Maßnahme ausdenken.
SP: Ihr habt recht, Herr. Sicher. Aber ich verstehe Euch nicht.
DQ: Ich las neulich in einem Mitteilungs-Forum
SP: Internet nennt man das. Website.
DQ: Richtig. ... Ich las dort einige Briefe von diesen -wie war noch der Name
SP: Zomia
DQ: Genau. Also von diesen Leuten las ich Mitteilungen, abgefasst in einem so aggressiven, bösartigen, schamlosen Ton, daß es mir die Laune verdarb.
SP: Sie suchen einen Platz zum Wohnen.
DQ: Wer tun das nicht? Viele suchen. Denk an unsere Reise. Wie sind wir aufgetreten? ... Diesen Menschen fehlt jede Bescheidenheit. Sie benehmen sich wie Okkupanten. Sie fordern, fordern, fordern. Gäste verhalten sich anders.
SP: Wohin führt der Weg uns heute?
DQ: Es gibt in Wilhelmsburg eine Windmühle. Dort werden wir ein Mahl zu uns nehmen . - Was erbleichst du mit einem Mal? Was schaust du so verstört?
SP: Das letzte Mal, Herr, als wir auf eine Windmühle zuritten-
DQ: Schweig! Wir werden essen. Weiter nichts! *R.S.*

Samstag, 28. Mai 2011

Blähungen 2


Wikipedia: "Flatulenz (von lat. flatus "Wind, Blähung"...) bezeichnet die verstärkte Entwicklung von Gasen (...) im Magen und/oder Darm, wobei es zum rektalen Entweichen (Flatus) von Darm-gasen kommen kann. Sitzen diese Darmgase fest (Flatus incarceratus), kann es zu schmerzhaften Bauchkrämpfen kommen ... " * Keinen (lateinischen) Fachausdruck fand ich für Probleme, die bei der mentalen Verarbeitung, sprich: Verdauung gesellschaftlicher Vorgänge auftreten. Mir passiert bisweilen, daß ich in "Dinge" bzw. Konflikte hineingerate, die ich nicht lösen kann. Dabei kann es zu Staus kommen. Mit der Folge, daß ein Konflikt in mir weiter"arbeitet" und ich darüber bestimmte Dinge vernachlässige. Wie heißt es so schön: Man hat "den Kopf nicht frei". Die Ursache sind oft andere Menschen, bisweilen bin ich's auch selber. Ich lasse mich auf Leute, Projekte, Gruppen-Konstellationen ein: Meine Entscheidung. Zahlreiche Blogs auf dieser Home-page belegen Probleme, die dabei auftauchen. Immerhin kann ich mir Erleichterung verschaffen, indem ich bestimmte politisch-soziale Umstände -etwa Konflikte mit der IBA, aber auch mit IBA-Gegnern- formuliere, zur Sprache bringe. Schreiben,um den Kopf frei zu bekommen. + tatsächlich, das Publik-Machen einiger "Dinge" hat mich ein Stück weit befreit. Gelöst und zu einem befriedigenden Ende gebracht werden Probleme dadurch allerdings nicht. Manche gewinnen sogar eine Dimension bzw. an Schärfe, die zuvor nicht vorhanden. ** Ich bin der Ansicht, daß die Herstellung von Öffentlichkeit (z.B. durch Blogs) einen Schutz darstellt. Zumindest sein kann. Da ich keine Lobby habe, die mir den Rücken stärkt, auch nicht in gewissen Teilen der "linken" Szene, wo so gern von "Solidarität" geredet wird, greife ich zu diesem Mittel. Ich brauche es. Mit dem Bloggen als Ventil bringe ich bestimmte Dinge nach außen. Auch wenn es sich dabei, für den voreingenommenen Außenstehenden (damit hatte ich zuletzt häufig zu tun), um scheinbar nichts weiter als schlechte Luft handelt. Es klingt vulgär, ist der Sache aber irgendwo durchaus angemessen. Auch bei scheinbar rein "geistigen" oder "sozialen" Prozessen spielen körperliche Aspekte eine Rolle. * Speziell für das Bloggen gilt: Natürlich weiß ich (bis auf wenige Ausnahmen) nicht, wer die Texte liest. Das Risiko, mißverstanden zu werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Und natürlich besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Gespräch, das ich mit einem Gegenüber (meine-twegen auch via Telefon) führe, und einem Monolog, de ich ins Blaue gestalte. *
Die Prozesse, die hier in Gang kommen, sind spannend. Ich habe die Möglichkeit, im Mikro-Be-reich sozusagen, durch Anticken winzige Änderungen hervorzurufen. Damit mache ich mich nicht unbedingt beliebt. *** R.S.

Samstag, 21. Mai 2011

Blähungen


Seit ca. Ende letzten Jahres gibt es ein "Netzwerk Wilhelmsburg/Veddel". Eigentlich eine gute Sache. Auf der Elb-Insel existieren etliche Gruppierungen, Initiativen, Einzel-Personen mehr oder weniger isoliert nebeneinander her. Da könnten Koordinierungs-Treffs und Kennenlernen eine "Bündelung der Energien" bewirken. Dachte ich. * Gestern kamen 5 Personen zu einem per Mail und Mund-Propaganda publik gemachten Treffen. Da kein Schlüssel für die Einrichtung vorhanden war, in der die Veranstaltung stattfinden sollte, tat ich eine alternative Location auf, das Westend. Sie wurde aber nicht benötigt. Die fünf waren 2 junge Männer von PRP (Projekt Revolutionäre Perspektive), eine Frau von der Partei "Die Linke", eine Redakteurin vom w.i.r. und ich (Kunstbüro Wilhelmsburg). Ein Vertreter von Zukunft Elb-Insel hatte abgesagt, vom Info-Laden ließ sich niemand blicken, von den "Engagierten Wilhelmsburgern" keine Spur, vom aku (Arbeitskreis Umstrukturierung) kein Lebenszeichen, ein Aktiver der Insel-Lichtspiele sagte ab. Von Zomia kam diesmal auch niemand. Was mich jedoch nicht störte. Ach ja, von "Busch & Baum" ließ sich auch niemand blicken. * Leider kam auch Jörg von Prodzinski nicht. Er verkaufte mir kürzlich 2 "aku"-Broschüren mit dem Titel "Alles alles verkehrt". Zwei Seiten des Heftes beinhalten Fotos meines iba-kritischen Schaufensters. Auf meine Frage, weshalb mich niemand darüber informierte, daß diese Bilder publiziert werden (im Prinzip habe ich nichts dagegen), antwortete Herr von P., daß er "nicht Mitglied bei aku" sei. Gestern abend hörte ich dann, daß Herr v.P. "mit seinen Leuten auf Kneipen-Tour" sei. Aha! AHHH-ha. ... Zumindest eines läßt sich von Herrn v.P. und "aku" aus meiner Sicht: Sie sind völlig intransparent. Das Gleiche gilt -und das ist der perverse Witz bei der Angelegenheit- für staatliche Behörden, die die Bürger piesaken. Wenn man protestiert oder sich beschwert, ist niemand zuständig. Danke für die die Erfahrung, daß solche Gepflogenheiten offenbar auch in der sich als "links" und "alternativ" gebärdenden Szene gang und gebe sind. * Für diesen Abend ließ ich eine Einladung zu einem Empfang im Bürgerhaus sausen ... * Immerhin gelang es mir, ein paar Sätze mit den Jungs vom PRP auszutauschen. * Eines scheint klar: Von diesem "Netzwerk Wilhelmsburg/Veddel", das eigentlich Opposition sein will (gegen IBA, igs, Gentri-fizierung, staatliche Bevormundung, Kapitalismus etc.) geht keine Gefahr aus. Im Gegenteil. Solidarität oder gegenseitige Unterstützung? Pustekuchen. Offenbar "handeln" die meisten Leute hier nach "Bock-Prinzip". Bei einem früheren Netzwerk-Treff kam zur Sprache, daß wir aufpassen müssen, daß sich kein Informant einschmuggelt. Sehr lustig. Lieber Kindergarten! Was soll denn ein "Informant" hier anderes herausfinden, als daß es sich beim "Netzwerk" größtenteils um Leute handelt, die koordinierungs-unfähig sind und keinen Begriff davon haben, was Kooperation bedeutet: ARBEIT. *R.S.*

Donnerstag, 19. Mai 2011

Kunstbüro-Abendessen


Noch ein Veranstaltungs-Hinweis: Am nächsten Dienstag, dem 24.5., gibt es wieder das monatliche Essen unseres Vereins. Siegmar backt Flamm-Kuchen. Beginn: ca. 18 Uhr. Ort: WESTEND, Vogelhüttendeich 17. * Die Kosten werden umgelegt (ca. 3 € pro Person). *R.S.*

Mittwoch, 18. Mai 2011

Figurentheater im Mokry-Cafe-schr


Die Bewohner einer Schublade: Ehepaar Korken + Sohn Pitty, werden von einem fiesen und schrecklichen Kerl terrorisiert. Er nennt sich Jack the Korkenzieher. Da ihn der Duft der Korken - seiner Leibspeise - unwiderstehlich in der Nase kitzelt, plant er ein schlimmes Massaker. Zum Glück gibt es noch Gertrud Gabel, eine voll emanzipierte Mitbewohnerin aus dem Küchen-schrank ...
Raimund Samson läßt die Puppen tanzen
Helmut Reithofer bläst Saxophon
am Samstag, 21.5., 15 Uhr im Mokry-Cafe, Mokry-Straße 17.
Der Eintritt ist frei. Spenden werden nicht zurückgewiesen. *R.S.*

Dienstag, 17. Mai 2011

Rosalind Solomon


Das Buch der Fotografin ist für mich ein echtes Fundstück. Ich kannte den Namen der Künstlerin, die schon an hunderten von Ausstellungen teilnahm, zuvor nicht. Eine Fotografin ganz nach meinem Geschmack. In einem der Vorworte heißt es: Sie "photografierte aus einem inneren Bedürfnis und Drang heraus, nicht für äußeren Lohn wir Geld oder Ruhm. Ihre Bilder entstanden ... ohne Auftrag und nicht für Ausstellungen. meist ohne Vereinbarungen mit Zeitschriften oder Galerien, die ihre Arbeiten ausgestellt hätten, nahm Solomon ihre Photografien häufig an unvertrauten, entlegenen Orten auf, ohne zu wissen, was mit ihnen geschehen und ob sie überhaupt jemand je sehen würde." Die Amerikanerin (* 1930) bereiste die halbe Welt. So enthält der Prachtband Fotos aus mehreren Kontinenten, alles in schwarz-weiß. Auf den meisten sind Menschen abgebildet. Sehr spannend und originell, aus meiner Sicht das Gegenteil von Genre. Bevor ich als Laie hier schwärmerischen Unfug ausbreite, nur so viel: Für mich sind die Fotos auch eine Fundgrube für Collagen. * 464 Seiten, Großformat (mein Scanner reichte nicht, um das ganze Cover aufzunehmen), mehrere Pfund schwer - zu einem Schnäppchen-Preis: 9,99 € bei 2001. Leute, lauft euch die Sohlen heiß, um noch ein Exemplar zu ergattern! *R.S.*

Montag, 16. Mai 2011

w.i.r. Mai-Juni


Wieder 32 prall gefüllt mit Berichten, Veranstaltungshinweisen, Leserbriefen u.a. Die Titel-Story behandelt von den Norddeutschen Ölwerken (NOW) ausgehende Geruchsbelästigungen. Seit Jahren schwelt hier ein Streit, der u.a. schon zu Strafanzeigen führte, ohne daß sich grundlegend etwas änderte. * Breiten Raum nimmt auch die Berichterstattung über die igs ein. In Folge der Umbaumaßnahmen sind riesige Areale für die Bevölkerung nicht mehr zugänglich. Das Bundesverfassungsgericht fällte kürzlich ein Grundsatzurteil, das (theoretisch) für von der "öffentlichen Hand" beherrschte Flächen ein Recht auf Demonstration, Meinungsfreiheit, Verteilen von Flug-blättern u.a. vorsieht. Inwieweit dies auch auf die besagten Flächen zutrifft, wird sich zeigen. Der Autor, Michael Rotschuh, drückt seine Kritik diplomatisch aus. In der Einschätzung des igs-Geschäftsführers "Auch unser Park war ein verloren gegangener öffent-licher Raum: eine zugewachsene, in weiten Teilen unzugängliche Grünfläche mitten in der Stadt..." sieht er einen Irrtum. Ich halte die Formulierung eher für eine krasse Unver-frorenheit. Herr Baumgarten wohnt nicht auf der Elb-Insel, maßt sich aber an, im Namen der Einheimischen ("unser" Park) zu sprechen. Gerade daß der Menge-Park zu einem geringen Teil auch "zugewachsen" war, machte ihn attraktiv. Ich saß häufig dort und zeichnete. Ich brauche keine sterilen, auf dem Reißbrett entworfene Blumen-Rabatte und nach DIN-Norm ange-pflanzte Busch- und Baum-Reihen. Auf präzise Sicht-Achsen angelegte Show-Flora mag ideal für die Überwachung von Überwachungs-Kameras sein. Der Erholungs-Charakter wird durch die von der igs vorgenommenen Standardisierungen eher gemindert. Im alten Park gab es unscheinbare, bezaubernde Orte. Ich konnte ungestört auf Entdeckungsreise gehen. Nun geht es darum, zahlende Besucher-Massen mit der Nase darauf zu stoßen, was Hamburg mal wieder für ein dolles Ding hinsetzt. Es geht um die Kommerzialisierung von "Natur"-Erleben. Aber wie heißt es doch: "Geld stinkt nicht." * Weitere interessante Berichte über Probleme hiesiger Kiosk-Inhaber, ein Schul-Projekt, das sich mit der Reaktor-Katastrophe in Japan befasst u.a. Unter "Kultur" gibt es Hinweise auf Festivals, Musik-Veranstaltungen, die Soulkitchen-Halle, das Elbinsel-Museum, den "Club der lebenden Dichter" etcetc. Ich habe einen etwas anderen Kultur-Begriff. Gerade die Aktivitäten der IBA und igs haben mit Kultur zu tun; Häuserbau und Anlegen von Parks, nach welchen Standards und Normen auch immer, sind nicht ein marginaler Teil-Bereich, sondern geradezu Inbegriff von Kultur. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß bestimmte Vorhaben jenseits von Kritik bzw. "Gut und Böse" stehen. Genau über diese Schiene aber versuchen sich igs- und IBA-Betreiber aus der Verantwortung zu mogeln. Sie tun so, als stünden sie über den Dingen bzw. über großen Teilen der einheimischen Bevölkerung. SEit 2007 vermisse ich auch nur den leisesten Hauch von Selbstkritik. Statt dessen kommt regelmäßig das Sandmännchen. Die Veranstaltungen nennen sich "Bürgerdialog". * Der w.i.r. ist die einzige größere, regelmäßig erscheinende Publikation auf den Elb-Inseln, die IBA- und igs-Projekte kritisch hinterfragt. Ich kann nur hoffen, daß der w.i.r. sich nicht den Schneid nehmen läßt. Daß auch weiterhin Argumente auf den Tisch gepackt werden, überprüfbare Fak-ten und Berichte. Es gilt zu veranschaulichen, daß Gentrifizierung nicht ein natürlicher Vorgang ist, sondern u.a. durch massive Beeinflussung der "Öffentlichen Meinung", Einschüchterung und Ausgrenzung der Gegner (bzw. Lächerlichmachen) ermöglicht wird. Wir brauchen noch mehr GEGEN-ÖFFENTLICHKEIT. *R.S.*

Samstag, 14. Mai 2011

Urs Böke : HEIMATGEDICHT


Schlaf mich hinfort
auf staubigen Straßen
die vom Asphalt
durch das sonnverbrannte
Land geschlagen
hilf mir über Berge
in deren Bächen
Bier und Whiskey fließen
die Hütten voller Blut
und romantische Stunden
in Zweisamkeit mit Ihr
unter verrosteten Baukränen
zerschunden das Herz
das niemals heilt
nenn mich Saarbrücken
und ich sing dir was
von Einöde und Eremiten
zu Hunderttausenden
nimm diese Sprengladung
und erlöse mich vom
Betongemischbautentum
in dieser Metropole
die für mich nur
Möchtegern heißt.

Urs Böke

(erstmals gedruckt in "herzGalopp" # 5 ; 1997 - die Collage ist neu) *R.S.*

Rosinen


"Na, was macht die Revolution?" wurde ich angepflaumt. MB (Mein Bekannter) wohnt in der Nachbarschaft. Wir begegnen uns alle Naslang auf der Straße und flachsen herum. Bisweilen er-gibt sich auch ein ernsthafter Dialog. "Revolution?" Ich kräuselte die Stirn und verdrehte die Augen. "Revolution?" MB ließ nicht locker. "Na, du gehörst jetzt doch auch zur Fraktion. Dein Schaufenster ..." "Ach so", wiegelte ich ab, "jo... es macht Spaß, die T-Shirts ... Aber es ist auch mit Arbeit verbunden." "Hast du eigentlich mitbekommen", setzte MB nach, "daß die Vering-höfe besetzt wurden?" Ach, DIE Geschichte ... liegt doch bereits einen Monat zurück. Ich ging mit meinem Bekannten, der sein Fahrrad schob, die Fährstraße hinunter. "Im Internet kannst du nachlesen. Da sind auch Fotos reingestellt. Eine Forderung lautet WILHELMSBURG BLEIBT DRECKIG!" Erwartete MB einen seriösen Kommentar? Ich hatte anderes im Sinn. Wir kamen zur Sanitasstraße, wo ein weißes Eckhaus steht. Naja, "weiß" ist eher der angestrebte Zustand. Seit Wochen wogt hier ein erbitterter Kampf zwischen Spraydosen-Artisten und einer Malerfirma. Nachts wird gesprayt, am Tag übermalt. Bisweilen sieht man sogar witzige Parolen wie "überstreichen IBA-flüssig". Toben sich hier Leute aus, die mit ihrer Bewerbung an der Kunsthochschule scheiterten? Bereits seit fast einer Woche waren die Wände weiß. Ganz schön lang. "Mal so ein bißchen Wände besprühen ... Jugendsünden." Ich sagte nichts. MB versucht mir mitunter beizupuhlen, daß auch er damals ... Das Thema, was in der DDR trotzdem gut war, hatten wir schon öfter. "Du, ich bin auf dem Weg zur Buchhandlung". "Das trifft sich gut, ich will zu Onkel Tokay." Wir überquerten die Veringstraße und kamen am Fisch-Restaurant vorbei. "Das Fatale ist", versuchte ich ernsthaft zu werden, "daß diese Leute vom Gymnasium über die Uni in die Realität stolpern und gleich meinen, alles auf den Kopf stellen zu müssen." "Bist du sicher, daß die alle studiert haben?" "Nein, natürlich nicht. Aber einige doch." "Was denen fehlt, ist Geschichtsbewußtsein!" Ich blieb einen Moment stehen. "So, jetzt will ICH dir mal was sagen." Wir schlenderten weiter, bis wir beim treffpunkt.elbinsel anlangten, einer Einrichtung zur Integration Behinderter. Ich holte tief Luft. "Diese Revolutionäre oder Weltverbesserer oder wie auch immer haben Rosinen im Kopf. Vom Leben keine Ahnung, aber alles besser wissen. Sie picken sich aus dem großen Kuchen Kapitalismus heraus, was ihnen gerade in den Kram paßt. Und dann ohne großes Nachdenken gegenan. Steine schmeißen, Wände besprühen, Sticker kleben. "Du, die haben keinen richtigen Plan!" "Keine Ahnung. Ich kenne die Leute nicht. Aber schau mal hier." Ich zeigte MB den Briefkasten vom treff-punkt.elbinsel. "Was haben die sich dabei gedacht?" "Wahrscheinlich nichts!" Schätze ich auch. Oder würden sie sonst ausgerechnet hier mit Parolen kommen wie "ANARCHIE STATT LUXUS - STATT SCHUFTEN FÜR DIE REICHEN KLASSE GEGEN KLASSE". MB lächelte tiefsinnig. "Kinderkram! ... Aber weißtu, wir dürfen es uns selber auch nicht zu einfach machen." Wir überquerten die Straße. "Wem sagst du das?" Mein Bekannter ging zu Onkel Tokay, ich ein paar Meter weiter in die Buchhandlung. *R.S.*

Freitag, 13. Mai 2011

Himbeeren


Ende März las ich einen Bericht im Abendblatt. Eine Frau eröffnet eine Galerie mit "Cheap Art". Auf der Website "schanzen-lounge.de" fand ich übermalte Fotos auf umgestalteten Tragetaschen und in Holzkästen gesetzte Figuren. Schlichte, aber aussagekräftige Assemblagen zu den Themen "Hafen" und "Pop-Musik". Interessant - und zu erschwinglichen Preisen: Ab 30 €uro! Geradezu elektrisierend fand ich den Hinweis, daß sie Schöpferin dieser Werke zuvor schon andere kreative Projekte durchführte, um sich dann für einige Jahre nach Indien zu begeben und dort Meditations-Techniken zu erlernen. Ich bin kein Meditations-Freak, aber Menschen, die aus dieser Gesellschaft aussteigen, und sei es nur vorübergehend, interessieren mich. Da ich selber schon Ausstellungen machte, auf denen ich Porträts von Pop-Sängern und Beat-Gruppen zeige (im "Rick's Cafe" in der Fährstraße hängen noch einige Werke), wollte ich die Künstlerin persönlich kennen lernen. * Mittwoch nahm ich mir Zeit und setzte mich in die S-Bahn zur Stern-schanze. Im Gepäck u.a. ein Exemplar des "Pimp your Rollstuhl"-Kalenders. Wir haben zwar schon Mitte Mai, aber bevor die restlichen Kalender im Schrank verfaulen, ver-schenke ich sie lieber. * Schnell fand ich die SchanZEN-Lounge in der Susannenstr. 21 (Hinter-hof). Ich hatte bereits meine Kamera in der Hand und wollte ein Bild machen - da sah ich eine Frau neben dem Eingang sitzen. Offenbar die Künstlerin und Galeristin. "Darf ich ein Foto machen?" fragte ich. "Nein", lautete die Antwort. "Wer sind Sie überhaupt?" "Ein Künstler, der u.a. Berichte fürs Internet schreibt". Begeistert wirkte die Galeristin nicht, aber ich durfte nun fotografieren. Mit den Worten "Ich bin durchaus seriös" versuchte ich die Abwehr der Frau zu unterlaufen. Offenbar schätzte ich die Situation falsch ein. Die Frau quittierte meine Be-merkung mit schallendem Gelächter. "Ich führe hier auch Lach-Meditationen durch", konterte sie mein Stirn-Runzeln. Dieses Angebot fand ich nicht verlockend. Ich lache gern - brauche dazu jedoch einen Anlaß. Nun zog ich den Kalender aus dem Rucksack. Die Frau blätterte zwei drei Seiten um. "Nein danke, möchte ich nicht geschenkt haben". Na gut - oder auch schlecht. Ich packte das Teil wieder ein. "Möchten Sie nicht meine Builder sehen?" Nein danke. Sie gefallen mir, aber ich kenne sie bereits von der Website. ... So zog ich wieder von dannen. Am Bahnhof kaufte ich zwei Schalen frische Himbeeren. "Man gönnt sich ja sonst nichts" (hahaha). Der Ver-käufer war äußerst mürrisch und nicht an einem Plausch interessiert. * Auf der Rückfahrt kostete ich von den zarten Früchten. So gesehen war die Fahrt nicht umsonst gewesen. Aber diese Künstlerin ... hatte sie einen schlechten Tag? oder ist sie immer abweisend gegenüber Leuten, die sie nicht kennt? Oder war sie einfach genervt von der Situation im Viertel? Die Schanze ist, bis auf die Rote Flora, durch-gentrifiziert. Cafe-Besucher und Touristen-Massen verstopfen die Straßen. Ich hoffe, daß die Menschen auf der Elb-Insel nicht auch demnächst so seltsam drauf sein werden. In absehbarer Zeit werden auch wir, im Gefolge von IBA und igs, von Menschen-Massen überrollt werden. * Ich steckte mir noch eine Himbeere in den Mund. Mir gegenüber saß ein Pärchen. Das Mädchen zwinkerte mir zu. Ich hielt ihnen die Plastikschale hin. Vorsichtig nahmen sie von den Früchten und lächelten und lutschten. *R.S.*

Ich mag


Zeichnungen wie diese von Mileke (10 J.),
heute in meinem Puppenbau-Kurs entstanden
im treffpunkt.elbinsel, Fährstr. 51 A.
*R.S.*

Mittwoch, 11. Mai 2011

Leserbrief an das Wilhelmsburger Wochenblatt


Sehr geehrte Redaktion! Es gibt offenbar nichts Wichtigeres mehr als ZOMIA. In der Nr. 18 Ihrer Zeitung waren gleich 2 Artikel zum Thema abgedruckt. Von einem anfangs mit Argwohn beäugten Fremdkörper haben sich die Bauwagen-Leute inzwischen zu everybody's darling gemausert. Die IBA machte ihr Platz-Angebot öffentlich, das Bezirksamt verlängerte die Duldungs-Vereinbarung - ja sogar die CDU konkurrierte im Wellness-Rennen. Die Projekte, Aktionen, Initiativen ansässiger Künstler, Kulturschaffender vor Ort sind offenbar nicht inte-ressant genug, um darüber zu berichten. Vor allem, wenn Kritik an der IBA oder igs geäußert wird. Im Wochenblatt # 18 stand u.a. ein Bericht über eine ZOMIA-Demonstration im Schan-zen-Viertel. So etwas wünschte ich mir auch einmal: Artikel über eine Aktion oder Ver-anstaltung des Kunstbüro Wilhelmsburg, die nicht auf der Elb-Insel stattfindet. Wir stellten im vergangenen Jahr 6 Wochen lang im Stadtmuseum Wedel aus. Im Wochenblatt las ich nichts darüber. Schon etwas länger ist unser Projekt "Nordbahn-Galerie" her. Ein ganzes Jahr lang (!) zeigten wir Bilder in den fahrenden Zügen der Linie Bad Oldesloe-Neumünster (und zurück). Rund um die Uhr. Es gab eine Reihe Ztg.-Artikel darüber. Nur die hiesigen Medien, darunter auch das Wilhelmsburger Wochenblatt, fanden das Projekt nicht erwähnenswert. Dabei machten wir mit dem Ausstellungs-Projekt auch Reklame für diesen Stadtteil. Offenbar nicht spektakulär genug! ... * Zum Head-Liner der # 18: Sehr gut finde ich die Idee der woh-nungsuchenden Frau Igla, für wenig Geld einen alten Bauwagen zu kaufen und sich damit auf den ZOMIA-Platz am Ernst August-Kanal zu stellen. Auch wenn der zuständige Bezirksamt-Mitarbeiter ablehnte - vielleicht kommt mit diesem Antrag Bewegung in die Angelegenheit. Ich kann nachempfinden, wie alteingesessenen WilhelmsburgerInnen zumute ist, die nach 20 oder 30 Jahren aus ihren Schrebergärten vertrieben werden. Sie müssen miterleben, wie junge Platzbesetzer, die aus jot-we-de anreisten, hofiert werden. Ältere Menschen werden offenbar als Auslauf-Modell angesehen, mit denen nicht viel Federlesens gemacht wird. * Die Bauwagen-Leute sind am Zug. Nicht nur ich erwarte, daß sie in glaubwürdiger Weise zeigen, daß sie bereit sind, ein engagierter und konstruktiver Teil des Lebens auf der Elb-Insel zu werden. * In der Fährstraße fand ich einen roten Aufkleber mit den Parolen "ZOMIA BLEIBT! RÄUMT EUCH DOCH SELBER! wir haben noch besseres vor." Absender: "http//zomia.blogsport.eu" Auch ich habe Sympathien für Menschen, die ihren eigenen Weg gehen und alternative Lebensweisen entwickeln. NA UND? Wenn ich solche Sprüche lese, vergehen mir die Sympathien. *R.S.*

Dienstag, 10. Mai 2011

Jerk Götterwind: "Manchmal hat man den Eindruck"


Manchmal hat man den Eindruck
Jedem als Killerspiel gebrandmarkten
Game liegen Schulpläne als Bonus bei

Manchmal hat man den Eindruck
Jeder Horrorfilm macht seine Zuschauer
Zu willenlosen Gewalttätern

Manchmal hat man den Eindruck
Politische Ränkespiele
Brauchen diese Art von Publicity

Manchmal hat man den Eindruck
Dass ein Amoklauf mehr ist
Als ein Akt der Gewalt

Und

Manchmal hat man den Eindruck
Die Kugeln stoppen nicht nur Leben
Sondern für einen kurzen Moment auch die Kälte

Die

Für alles verantwortlich ist.

Jerk Götterwind

Meine Interpretation: Das Gedicht ist ein -sowohl auf als zwischen den Zeilen- subtiles State-ment, das auf den Punkt bringt, was mit dieser Gesellschaft los ist. Einerseits haben wir eine überbordende Unterhaltungs-Industrie, die täglich mit der Darstellung von Gewalt Zigmillio-nen Umsatz macht. Andererseits wollen die Menschen vor realer Gewalt beschützt werden. Eigentlich weiß es jeder: Kein Mensch kommt als Killer oder Amokläufer auf die Welt. Aber dann passiert das "Unfaßbare" doch. * Es gibt keine sicheren Rezepte. Staat, Politik und Polizei können nicht verhindern, daß sich angestaute Wut und Verzweiflung auf bisweilen monströse Art entladen. * Jeder muß für sich selber zusehen, sich von Ängsten und mediengeschürter Hysterie nicht anstecken zu lassen. *R.S.*
Infos über den Autor: www.jerkgötterwind.de.vu jerkgötterwind.jimdo.com
Das Gedicht wurde 2010 in dem Buch "Wir kamen in Frieden", songdog-verlag, isbn 978-3-9502890-4-6, 60 S., veröffentlicht.

Q65 - Das BUCH



1966 gelangte "You're the victor" in die holländischen Charts, ein Song mit einem bis dato einmaligen Sound, wild und quengelig - wüster Rhythm&Blues! Das rauhe und wie improvisiert wirkende Stück war eine Sensation - und dann noch von einer holländischen Band! Wir hatten in Deutschland die Lords und die Rattles, die ich mochte. Irgendwie schienen Q65 der hiesigen Beat-Scene voraus zu sein. Ich war 14, Kinks-Fan, äußerst naiv, aber emotional aufnahmefähig. Hier kamen Klänge rüber, die mich aufwühlten. Q65 hatten in den 60-ern noch mehrere Hits in Holland. Erst in den 90-ern fing ich wieder an, mich intensiver mit der damals hippen Musik zu befassen. Meine Lieblings-Stücke der "Kjoe", wie sie sich zeitweilig auch nannten, sind heute das eingangs erwähnte, außerdem "World of birds", "Summer thoughts in a field of weeds", "I got nightmare", "Down in the bottom" ... Die Beatles sangen "She loves you", Q65 konterte, ein paar Jahre später mit "I dispise you". Gefühls-Revolution! * Das Buch von Pim Scheelings basiert auf Gesprächen mit den Guitarristen Joop Roelofs, Frank Nuyens und Peter Vink sowie anderen Musikern, die zeitweise zur Band ge-hörten. "De ultieme biografie" ist von einem Fan geschrieben und gibt persönliche Einblicke in die Band-Historie und das feeling damals. Von der Ur-Besetzung leben noch 3 Mitglieder. In mancher Hinsicht waren Q65 Vorläufer des Punk. In musikalischer Hinsicht finde ich sie besser als die meisten Punk-Bands. Wie kamen sie auf den Namen? Im Buch finde ich keinen Hinweis, aber im Internet lese ich, daß "q65" auch ein medizinischer Ausdruck ist für angeborene Hüftleiden. Darunter leidet zwar kein Mitglied der Band, aber ich vermute, daß sie mit der Namensgebung ihre Ablehnung der brav-bürgerlichen, auf "Wohlanständigkeit" ausgerichteten Gesellschaft zum Ausdruck brachten. Und dann die langen Haare! DAMALS waren sie noch ein echtes Zeichen von Protest. Später wurden sie Mode-Standard und gehörten zur Verkleidung von Spießern, Zuhältern usw. * Q65 genießen heute Kult-Status, nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in Japan und den USA. Die besondere Qualität einer Band (wie auch anderer Künstler) läßt sich oft erst mit einigem Abstand ausmachen. * Im Internet findet sich u.a. eine sehr informative Homepage: www.q65.org. * Das Buch gibt es leider nicht auf Deutsch. Ich las mich, unter Zuhilfenahme eine Wörterbuchs, durch den holländischen Text. Es gibt auch eine englische Version. * 208 S., zahlreiche Fotos, isbn 978-90-808209-3-7; 19 € 99 *R.S.*
                          

Montag, 9. Mai 2011

Gunter Sachs ist tot


Vorgestern bereitete Gunter Sachs, der legendäre Playboy, Fotograf, Kunst-Mäzen (er sammelte als einer der ersten Warhol-Bilder), ein Liebling der Frauen, Ikone des Jet-Set, Genießer, Le-benskünstler, Freund alles Schönen ... seinem Leben ein Ende. In einem Anfall von Depression erschoß er sich in seinem Haus in Gstaad (Schweiz). Er war sich sicher, an Alzheimer erkrankt zu sein. Ich denke mit großem Respekt an den Multimillionär, den ich als junger Mann aus klassenkämpferischer Sicht nur jenseits einer unüberwindbar hohen ideo-logischen Mauer verorten konnte. Seine Frauen-Bildnisse mochte ich nicht. Sie waren ästhe-tisch perfekt, technisch meisterhaft, in jeder Hinsicht "professionell". Meiner Ansicht nach kann jede Frau schön sein, unabhängig von Proportionen und Model-Normen. Aber was spielt das jetzt für eine Rolle? Hätte Gunter Sachs seinen Geschmack, sein Glück, seinen Reichtum verstecken und seine Ambitionen leugnen sollen? Die Welt wird um eine Persönlichkeit ärmer. Der Mann verkörperte ein Klischee. Er WAR dieses Klischee - aber dahinter steckte noch etwas Anderes. Ich glaube, daß er ein großzügiger Mensch war. Deshalb bin ich traurig. *R.S.*

Sonntag, 8. Mai 2011

Undercovere-Agent unter Hell's Angels


In "Falscher Engel" beschreibt Jay Dobyns (Co-Autor N.Johnson-Shelton) seine Arbeit als ver-deckter Ermittler im Südwesten der USA. Es gelingt ihm, mehrere Charter der Motorrad-Gang Hell's Angels zu unterwandern. Er macht seinen Job so gut, daß praktisch alle auf seine Schau-spielerei hereinfallen, selbst Sonny Barger, der legendäre Gründer des MC. Das Buch ist ein Reißer und läßt an Spannung nichts zu wünschen übrig, ein "Reality"-Krimi sozusagen. Die Autoren verwenden die echten Namen der Beteiligten und zeigen authentische Fotos etlicher H.A.'s, um die es bei den Ermittlungen geht. Am Ende des Unternehmens (2003), an dem ein ganzer Stab Agenten beteiligt war, wurden 1600 Beweisstücke (Sprengstoff, Rohrbomben, Napalm, Schalldämpfer, Granaten, Drogen, 1600 Gewehre ...) beschlagnahmt. Zur großen Enttäuschung Dobyns mussten jedoch etliche Anklagepunkte fallen gelassen werden. Es reichte "nur" für mehrere zeitlich begrenzte Haftstrafen. Auch daß auf zwei H.A. eine Mordanklage wartet, mindert nicht den Frust des Agenten. * Der Autor behauptet (S. 452), es gehe ihm vor allem um "Ehrlichkeit". Zeitweise plagten ihn Selbstzweifel und moralische Skrupel - vor allem hinsichtlich seiner Familie. Zudem genoß er das Vertrauen zahlreicher Outlaws, die ihn als Freund, ja Verbündeten ansahen. Erstaunlicherweise behauptet er im Nachwort (S. 444), angeblich "mit gutem Gewissen", daß er die systematisch hinters Licht ge-führten Rocker "nicht getäuscht habe". Zum Reinwaschen seiner Tätigkeit gehört auch die pauschale Verun-glimpfung der H.A., die "auf ihrem hohen Roß sitzen blieben" (445), als "widerwärtigste Subjekte der Gesellschaft" (448). * Bei mir bleibt ein schaler Nachgeschmack. Als Polizist tat D. seine Pflicht. Und noch etwas mehr. Dazu gehörte auch eine Taktik, die trickreiche Lügen und Anstiftung zu Straftaten einschloß. Ich denke, der eigentliche Betrug bzw. "Verrat" an den Outlaws, die er mit seinem Buch in dien Pfanne haut, besteht darin, daß er den Job nicht mit der Entlarvung krimineller Machenschaften abschließt. Statt dessen versucht er seine bezahlte Arbeit durch die Veröffentlichung des Buchs zum zweiten mal in bare Münze zu verwandeln. Er kommerzialisiert seine Erfahrungen. Und nun wirds peinlich: Um sich keine Kritik von Rezensenten und Moralaposteln einzufangen -was sich negativ auf die Rentabilität des Buchs auswirken könnte- betont er, daß er "die zahl der Schimpfworte, die ich benutzte" einschränk-te, und gesteht, noch peinlicher, "leider habe ich auch die Worte "Alter" (oder "Mann") häufiger verwendet als im Buch (453). Bei so viel auflagen-orientierter Selbst-Zensur und pin-geligster Beachtung der political correctness (pc IST "die" korrekte, von Staat und Kirchen als "richtig" anerkannte Sprache) ist nur konsequent, daß er schließlich das Klischee des "guten", mustergültigen Staatsbürgers reproduziert, der sich wieder dem zuwendet, was ihm nach der aufwühlenden Undercover-Tätigkeit noch geblieben ist: "Gott, guten Freunden, meiner Fa-milie". * Und die Hell's Angels machen weiter. Sie sind das Original, an dem sich andere ab-zuarbeiten versuchen und damit Geld verdienen. Ullstein-Verlag, 464 S., 10 € 30. *R.S.*

Samstag, 7. Mai 2011

Wilhelmsburg wird Disney-Land


HURRA! Die Genehmigung für die geplante Seilbahn ist zwar noch nicht erteilt, aber zumindest bekommt die Elb-Insel eine Schwebebahn geschenkt. Da werden €uro, Rubel und $ rollen. "Der Neue Ruf" verkündet es mit der Schlagzeile: "Wie ein Schaufensterbummel!" Die Bahn soll 3,4 km lang sein und sich ab 2013 durchs Gartenschau-Gelände schlängeln. Drei Haltestellen sind geplant. "Sieben Züge mit je 13 Wagen, die jeweils 78 Sitzplätze bieten, können während der Gartenschau stündlich 2000 Menschen transportieren" heißt es im N.R. Läppische 13 Mill. € soll das Spielzeug kosten, das von igs und "intamin Bahntechnik und Betriebsgesellschaft mbH" finanziert wird. Die Betreiber versprechen zwar nicht, daß die Fahrgäste Stücke des unter ihnen ausliegenden Gelände erwerben können, DAS nicht!, aber zu shoppen und zu kaufen, zu essen und zu trinken wirds auch so einiges geben. 2000 Gäste pro Stunde! ... Die Zahlen darf man sich auf der Zunge zergehen lassen ... Und damit sind nur die Menschen erfasst, die schwebend ihren Schaufenster-Bummel absolvieren ... Für Hotels, Zulieferer, einige Dienstleistungsbetriebe werden Goldene Zeiten anbrechen. Bange Frage: Bekommen Arge-Empfänger Ermäßigung? Darf jeder Wilhelmsburger vielleicht sogar einmal "umsonst" mitfahren? So als Appetit-Häppchen ... Und wie sieht es mit den Eintritts-Preisen für das igs-Gelände aus, das wir bis vor ca. einem Jahr noch umsonst betreten durften (:: Eintritt bezahlen wir noch nicht, aber kilometerlange Absperrungen halten uns davon ab, Spaziergänge zu machen wie gewohnt)? Ich bin sicher: Herr Amberg (Intamin) und Herr Baumgarten (igs), die in einer Kombination aus Osterhase und Weihnachtsmann das Schwebe-bahn-Modell präsentieren, werden sich nicht lumpen lassen.
Wie heißt es weiter im Werbe-Text des Neuen Ruf: "Vom Haupteingangsbereich mit der Welt der Häfen fährt die Bahn entlang der Welt der Kontinente zum Südpol des Parks ..." HALLO! Dürfen wir uns auf Pinguine freuen (wenigstens aus Plastik)? Was verkünden uns die verhei-ßungsvollen Worte? Hier wird nicht nur der Gentrifizierung ein Meilenstein, sondern auch der Globalisierung ein Denkmal gesetzt. "Die Welt der Häfen", "die Welt der Kontinente" ... auch diese Wortschöpfungen lassen wir uns auf der Zunge zergehen. Wir haben nicht so viel Knete wie die Scheichs von Dubai, aber so eine Mini-Version der auf Modell-Größe reduzierten Kontinente ist auch schon mal was! Wilhelmsburg wird zum Sandkasten, wo alle wieder spielen dürfen. Zumindest der Sand ist schon da. * Und die Leute vom Verein "Zukunft Elb-Insel", die schon befürchteten, igs und IBA pimpten Wi.burg nur für die Dauer von ein paar Jahren auf, um anschließend die armen Insulaner, uns!, wieder im Stich zu lassen, können beruhigt aufatmen. Diese Sache HAT Zukunft! Sie IST Wilhelmsburgs Zukunft. Touristische Heerscharen sind auch über 2013 hinaus garantiert. So wird peu a peu ein Stadtteil vom "sozialen Brennpunkt" zum Disneyland umfunktioniert. Wer da Kritik äußert! ... HALLO! Wagt jemand, sich als Spielverderber zu outen ? ... fragt Micky Maus

Freitag, 6. Mai 2011

Gagarin in Wilhelmsburg



An der Honigfabrik-Fassade hing ein Gemälde von Juri Gagarin, dem ersten Menschen im Weltall und Helden der Sowjetuniuon. Auf dem Güterwaggon im HoFa-Park war eine Papp-Rakete stationiert, daneben eine weiße Leinwand. Ein HoFa-Mitarbeiter erzählte, daß Theater-Leute aus Petersburg zu Gast waren. Vor dem Eingang der HoFa wies ein Transparent auf eine "internationale alternative Kulturbewegung" sowie die Website www.rock-front.de hin. Dort lese ich: "In Deutschland lebende Jugendliche mit russischem Migrationshintergrund zeigen ihren deutschen Mitbürgern, was und vor allem wie der 1. Mai in ihrer Heimat gefeiert wird". Bezirksamtleiter Schreiber übernahm die Schirmherrschaft über das event. Aha. Einem weiteren Rock-Front-Eintrag entnehme ich, daß "Leningrad" nach Deutschland kommen, die angeblich "schrillste Rock-Band der Zweitausender". Die Jungs saufen gerne Bier - oke. Ich frage mich nur, was an dieser "internationalen Kulturbewegung" "alternativ" ist. Ein Kosmonaut? Das übliche Marktgeschrei für eine angebliche Super-Rockband? Solchen PR-Rummel hatten wir schon 10000-mal. Das Etikett "alternativ" stammt aus der Steinzeit. Kein Wunder, daß ein SPD-Politiker den Lokführer mimt. Image-Werbung ist eben alles ... *R.S.*

Mittwoch, 4. Mai 2011

Hadayatullah Hübsch : Berlin-Taxi (yesterday)


Im Januar 2010 schrieb mir H.H.: "mühsam tippe ich mit dem zeigefinger der linken hand buchstabe für buchstabe, denn ich habe mir vor zehn tagen den rechten oberarm gebrochen. dies nur als lebenszeichen. ich schreibe inschaallah persönlich und ausführlicher in ein paar wochen, wenn ich den rechten arm wieder einigermaßen bewegen kann. ..."
Hadayatullah legte dem Brief das folgende Gedicht bei, zu dem ich heute morgen ein Collage anfertigte:

Berlin-Taxi (yesterday)

In diesem hellen Winter
Hängen schwarze Monde über der Stadt,
Wir setzen die Nacht unter Feuer,
Du tratst hinter mich wie eine
In fremde Länder gekleidete Frau,
Ich zerfurchte meine Stirn mit dem Saphir,
Den ich in einer Holzkiste neben dem
Kohleofen im Haus Waldfriede aufgestöbert
Hatte, dein Lächeln wurde hart,
Als ich versuchte, das Licht der
Gewaltsamen Liebe anzudrehen,
Dann zersplitterte mein inneres Auge,
Sterne fielen in den Wann-See,
Ich parkte meine Haut in einem billigen
Milchmädchenkaffee, die Zeitungen
Von Morgen rochen wie Maggi-Würfel,
Ich sah aus dem Spiegel wie ein Vampir,
Traurige Lieder flossen über
Die Kreuzungen der Schneestraßen,
Ich plünderte die Blumengeschäfte und
Schenkte verletzten, entsetzten
Verkäuferinnen mit gehetztem Blick meinen Paß.

Urs Böke


Pragmatismus

Während sich die Szene
in Dortmund besoffen liest
liege ich im Bett
knabber am Knäckebrot herum
und trinke Tee
weil ich noch vor einer Stunde
Blut und Joghurt
ins Klo kotzte

Es war kein angenehmer
Zustand es
kam mir vor als käme es
aus allen Körperöffnungen
und selbst aus der Harnröhre
spürte ich es fließen

Dabei wäre ich gerne
in Dortmund anwesend
um zu hören wie
Möchtegern-Dichter
ihre Texte stottern
und das Publikum be-
schimpfen doch hier im Bett
scheint es mir sicherer

Und immerhin:
Ein mittelmäßiges Gedicht
ist dabei ja rausgekommen.

*** Das Urs Böke-Gedicht des damals 21-Jährigen publizierte ich 1996 in der Zeitschrift herzGalopp. Das Gedicht gefällt mir heute noch. Ich halte Böke für einen feinen Kerl, auch wenn er den Macker raushängt. OHNE KONKURRENZ wäre die Poetry-Szene LANGWEILIG. *R.S.*

Dienstag, 3. Mai 2011

Gentrifizierung ole! Eine Seilbahn für Hamburg


Die Lokal-Zeitung "Der neue Ruf" brachte einen Bericht über den Bau einer Seilbahn von der Ha-fencity nach Wilhelmsburg; Zwischenstation: Das Musical-Theater im Hafen. Die igs (Internationale Gartenschau) hält eine Seilbahn für hochattraktiv, "aber auf dem igs-Gelände (für) nicht rentabel". Die Stadtentwicklungsbehörde prüft gerade die Realisierbarkeit. Erst dachte ich: Eine Schnaps-Idee, aber angesichts dessen, was seit 4 Jahren auf der Elb-Insel passiert, meine ich, daß auch dieses Projekt realisiert werden wird. Für die Stadtplaner und meisten hiesigen Politiker (zumindest die, die auf die eigene Karriere setzen), geht es darum, im großen Wettstreben der Image-Aufwertung der Hansestadt zu punkten. Und genau hier ergibt sich wieder eine Möglichkeit. Die Investitionskosten von 50 Mill. € dürften kein Prob-lem darstellen, auch wenn davon auszugehen ist -siehe Elb-Philharmonie- daß diese steigen werden. Der Neue Ruf zitiert die Investoren Stage Entertainment: "Die bisherigen Reaktionen auf das Projekt waren positiv. Keiner konnte bisher was dagegen sagen." Nur: Wer wurde überhaupt gefragt? * Es ist davon auszugehen, daß spätestens 2013 die Elb-Insel von Massen-Tourismus überflutet wird. Der Kommerz-Boom kann durch die Errichtung einer Seilbahn noch getoppt werden. Wem IBA und igs noch nicht ausreichen, sich mit dem Kegelverein auf den Weg nach Hamburg zu machen, dürfte durch die Aussicht auf eine Gondelfahrt über den Hafen zusätzlich motiviert werden, die Hansestadt heimzusuchen. Ein Anreiz, das Seilbahn-Projekt zu realisieren, dürfte für IBA, igs, Stadtentwicklungs-Behörde && sein, daß via Gondel-betrieb das ganze Brimborium dauerhaft etabliert werden kann. Bei Investitionskosten von 50 Mill. € wäre nicht zu hoffen, daß die Seilbahn mit dem offiziellen Ende von IBA und igs wieder abgebaut wird. Es würden ein paar neue Arbeitsplätze entstehen. Daß die Wilhelmsburger davon nicht oder nur unwesentlich profitieren, dürfte kein Hindernis sein (siehe IBA und igs). Wir sind aufgefordert, uns für höhere Ziele zu begeistern und einspannen zu lassen, sprich: Die "Aufwertung" Hamburgs und das Attraktivmachen dieses Stadtteils für Leute, die Geld mit-bringen. Und sei es nur für einen Tages- oder Wochenendausflug. Das Haupt-Argument von IBA- und igs-Gegnern, die Abholzung von tausenden Bäumen, dürfte hier kaum eine Rolle spielen. Wir leben im Turbo-Kapitalismus. Das bedeutet: Das liebe Geld ist die einzige Werte-Kategorie, die noch zählt. Jedes Unternehmen, das Rentabilität verspricht, wird von Politik und Wirtschaft gefördert. Gerade jetzt. Vielleicht wird auf der Elb-Insel eine Hamburger Dis-neyland-Version entstehen? Ds Ganze unter dem alles und nichts sagenden Begriff "Kultur" schmackhaft zu machen, dürfte für die Verantwortlichen weder ein ökonomisches noch Gewissens-Problem darstellen. Und wenn bis 2013 die Realisierung nicht mehr klappt: Die Goldgrube Seilbahn in Verbindung mit den IBA- und igs-Hinterlassenschaften dürfte auch später noch für Investoren ein heißes Eisen sein. Gentrifizierung ole! *R.S.*

Montag, 2. Mai 2011

Pseudo-Dialog oder: Wie die IBA aus einem X ein U machen will


In der April/Mai-Ausgabe des Wilhelmsburger Insel-Rundblicks (W.I.R.) antworten Frau Theis und Frau Klotz auf meine Kritik am IBA-Buch "Kreativität trifft Stadt" in der vorigen W.I.R.-Ausgabe. Die AutorInnen behaupten, es gehe in ihrer Publikation "ausdrücklich" um künstleri-sche und kulturelle Projekte, "die im Zeitraum von 2008 bis 2010 stattgefunden haben..." Diese Angabe ist falsch bzw. irreführend. Bereits das zweite Foto des Buchs (S. 8-9) betrifft die "Hafensafari 2007", wie der Fußnote zu entnehmen ist. * Wie Frau T. und K. auf die Idee kom-men, ich hätte NICHT den Eindruck, daß ihnen das KWW (Kunst Werk Wilhelmsburg) "besonders am Herzen" liege, ist mir ein Rätsel. Allein der 8-seitige Bericht von Anke Haarmann (IBA) über das KWW, in dem mein Kunstbüro-Verein trotz umfassender und maßgeblicher Aktivitäten bewusst ausgegrenzt wird, macht deutlich, wie wichtig dieser Verein der IBA zu sein scheint. Kein Wunder: Zwei KWW'ler sind Mitglieder des IBA-Bürger-beteiligungs-Gremium. Außerdem sind zwei KWW-Vorständler zugleich SPD-Mitglieder. Auch von daher passt das KWW vorzüglich ins IBA-Kalkül. Es dreht sich hier allein um Politik - die vielbeschworene "Kunst" wird instrumentalisiert, ist nur ein Vorwand. Es geht darum, eigene Seilschaften zu pushen. Dies geschieht mit einem Höchstmaß an Ignoranz und zeugt davon, wie unseriös und verlogen die IBA mit Kunst und den Interessen von Künstlern umgeht. Daß beim KWW keine nennenswerten Tätigkeiten mehr stattfinden, die mit dem Namen eigentlich ver-bunden sind, weiß Frau T. spätestens seit August 2010. Damals führte ich ein Gespräch mit ihr, in dem es, entgegen meinen Absichten, einzig und allein um diesen Verein ging, der ihr offenbar "am Herzen" liegt. Krampfhaft versuchen die AutorInnen nun wider besseres Wissen, dem KWW eine Bedeutung beizumessen, die es nicht hat. Sie erwähnen u.a. den Berliner Adam Page, der ein einziges Mal (: vor mehr als 2 Jahren!) an einem Treffen teilnahm und seither in keiner Weise mehr für das KWW aktiv war. Ich sehe in der "Stellungnahme" einen Versuch seitens der IBA, den LeserInnen des W.I.R. (4500 Auflage) ein X für ein U vorzumachen. Es soll der Eindruck erweckt werden, es handele sich bei den Ausgrenzungen des Kunstbüro-Vereins und meiner Person um Mißverständnisse meinerseits. *R.S.*