"Na, was macht die Revolution?" wurde ich angepflaumt. MB (Mein Bekannter) wohnt in der Nachbarschaft. Wir begegnen uns alle Naslang auf der Straße und flachsen herum. Bisweilen er-gibt sich auch ein ernsthafter Dialog. "Revolution?" Ich kräuselte die Stirn und verdrehte die Augen. "Revolution?" MB ließ nicht locker. "Na, du gehörst jetzt doch auch zur Fraktion. Dein Schaufenster ..." "Ach so", wiegelte ich ab, "jo... es macht Spaß, die T-Shirts ... Aber es ist auch mit Arbeit verbunden." "Hast du eigentlich mitbekommen", setzte MB nach, "daß die Vering-höfe besetzt wurden?" Ach, DIE Geschichte ... liegt doch bereits einen Monat zurück. Ich ging mit meinem Bekannten, der sein Fahrrad schob, die Fährstraße hinunter. "Im Internet kannst du nachlesen. Da sind auch Fotos reingestellt. Eine Forderung lautet WILHELMSBURG BLEIBT DRECKIG!" Erwartete MB einen seriösen Kommentar? Ich hatte anderes im Sinn. Wir kamen zur Sanitasstraße, wo ein weißes Eckhaus steht. Naja, "weiß" ist eher der angestrebte Zustand. Seit Wochen wogt hier ein erbitterter Kampf zwischen Spraydosen-Artisten und einer Malerfirma. Nachts wird gesprayt, am Tag übermalt. Bisweilen sieht man sogar witzige Parolen wie "überstreichen IBA-flüssig". Toben sich hier Leute aus, die mit ihrer Bewerbung an der Kunsthochschule scheiterten? Bereits seit fast einer Woche waren die Wände weiß. Ganz schön lang. "Mal so ein bißchen Wände besprühen ... Jugendsünden." Ich sagte nichts. MB versucht mir mitunter beizupuhlen, daß auch er damals ... Das Thema, was in der DDR trotzdem gut war, hatten wir schon öfter. "Du, ich bin auf dem Weg zur Buchhandlung". "Das trifft sich gut, ich will zu Onkel Tokay." Wir überquerten die Veringstraße und kamen am Fisch-Restaurant vorbei. "Das Fatale ist", versuchte ich ernsthaft zu werden, "daß diese Leute vom Gymnasium über die Uni in die Realität stolpern und gleich meinen, alles auf den Kopf stellen zu müssen." "Bist du sicher, daß die alle studiert haben?" "Nein, natürlich nicht. Aber einige doch." "Was denen fehlt, ist Geschichtsbewußtsein!" Ich blieb einen Moment stehen. "So, jetzt will ICH dir mal was sagen." Wir schlenderten weiter, bis wir beim treffpunkt.elbinsel anlangten, einer Einrichtung zur Integration Behinderter. Ich holte tief Luft. "Diese Revolutionäre oder Weltverbesserer oder wie auch immer haben Rosinen im Kopf. Vom Leben keine Ahnung, aber alles besser wissen. Sie picken sich aus dem großen Kuchen Kapitalismus heraus, was ihnen gerade in den Kram paßt. Und dann ohne großes Nachdenken gegenan. Steine schmeißen, Wände besprühen, Sticker kleben. "Du, die haben keinen richtigen Plan!" "Keine Ahnung. Ich kenne die Leute nicht. Aber schau mal hier." Ich zeigte MB den Briefkasten vom treff-punkt.elbinsel. "Was haben die sich dabei gedacht?" "Wahrscheinlich nichts!" Schätze ich auch. Oder würden sie sonst ausgerechnet hier mit Parolen kommen wie "ANARCHIE STATT LUXUS - STATT SCHUFTEN FÜR DIE REICHEN KLASSE GEGEN KLASSE". MB lächelte tiefsinnig. "Kinderkram! ... Aber weißtu, wir dürfen es uns selber auch nicht zu einfach machen." Wir überquerten die Straße. "Wem sagst du das?" Mein Bekannter ging zu Onkel Tokay, ich ein paar Meter weiter in die Buchhandlung. *R.S.*
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