Mittwoch, 20. November 2013

W.I.R. Nr.11 – 2013 : Nestbeschmutzung


Titel-Story: Der Wochenmarkt auf dem Stübenplatz, seit Jahrzehnten einer der lebendigsten Orte der Elb-Insel. Zu beobachten ist eine allmähliche Verdrängung der Obst- und Gemüse- durch Kleider-, Schuh- und ähnliche Verkaufsstände. Nicht erwähnt wird, daß alteingesessenen deutschen Obst- und Gemüsebauern die Kundschaft schrumpft, während die großenteils von Türken, Nordafrikanern und Osteuropäern betriebenen Kleider- und Stofftische großen Zulauf haben. Es ist politisch nicht korrekt, diesen Umstand aufzuzeigen. Wie der Redakteur, der seit ca. 3 Jahren auf der Elb-Insel lebt, zu der Einschätzung gelangt „In den letzten 30 Jahren hat sich die Einwohnerschaft massiv verändert, und nicht alle heutigen Bewohner haben genug Geld, um auf dem Markt einzukaufen“  weiß nur er selber. Ich wohne seit 27 Jahren zwei Minuten Fußweg vom Stübenplatz entfernt. Die Einwohnerschaft hat sich in den letzten 3-6 Jahren massiv verändert. Und woher DAS rührt, weiß jeder. Auch die wir-Redaktion. Dieser die realen Verhältnisse beschnitten wiedergebende Artikel läuft nicht unter der Rubrik „Meinung“, sondern unter „Titel“ (-Story), ist also kompatibel bzw. identisch mit der wir-Redaktion. Jörg Ehrnsberger beklagte schon mehrfach, daß er als quasi „Neu-Wilhelmsburger“ von einigen Insulanern noch nicht voll akzeptiert werde. Ich finde Jörg super-sympathisch, meine aber, daß, wer hier jahrzehntelang lebt, oft tatsächlich mehr als neu Dazugezogene weiß. * S.6 Manuel Humburg, bedeutsamer Populist der Insel, macht sich mal wieder Gedanken, die weder innovativ noch originell sind. Die IBA ist offiziell beendet, aber die so entstehende Baulücke muß, wenn es nach M.H. geht, unbedingt gefüllt werden. „Und warum eigentlich kein Wohnungsbau am Veringkanal?“ fragt der Mann. Gegenfrage: Wieso nach 6 Jahren nervigsten Wohnungsbaus nicht endlich mal eine Pause damit?  S. 17 „Das waren die Ateliertage 2013!“  Die Organisatorin behauptet: „Alle KünstlerInnen waren sehr zufrieden“. Ich halte es für taktisch sehr clever, so zu schreiben. Der ganze Artikel ist alles- und nichts sagend. Die Organisatorin macht Reklame für sich selber, gipfelnd in:„-eine gute Nachricht: Nächstes Jahr werde ich wieder Ateliertage organisieren, und neue KünstlerInnen können sich schon jetzt bei mir melden...“  Was sie, außer Eigenlob, in zwei Spalten von sich gibt, ist inhaltlich „Friede, Freude, Eierkuchen“. Bloß nicht kritisch sein, bloß nicht irgendwelche Unsicherheiten oder Zweifel zeigen. Auch dieser Artikel wendet sich nicht unter der Rubrik „Meinung“ an die Leser, sondern vermittelt als Bestandteil des „Kultur“-Teils den Eindruck, daß (s.o.) die Redaktionsmeinung widergegeben wird. Was in dem Artikel simplifizierend zum Ausdruck kommt, ist, pragmatisch auf den Punkt gebracht, SPD-Kulturpolitik. „Seid nett zueinander“. Von der Sache her inkompetent, von der Tendenz konsensfähig, vom Gehalt her totale Nivellierung: Gleichmacherei. tschuldigung: Die Grünen betreiben die gleiche Kultur-Politik, nur mit anderem Etikett. ** Die igs-Berichterstattung erhitzt auch nach Schließung der Pforten die Gemüter. Herr Rejmanowski, eifriger Leserbrief-Schreiber, läßt mal wieder seine Wut ab über allzu kritisch denkende Menschen. Und er zeigt nicht nur Wut, sondern auch Mut. Nur: Gegen das „schlecht geredet werden“ des Stadtteils anzustänkern macht wenig Sinn, wenn Mißstände allzu offensichtlich sind. „Das grenzt an Nestbeschmutzung“  meint Herr R.  Er verwendet hier einen äußerst reaktionären, nahezu faschistischer Begriff, mit dem Andersdenkende diffamiert und mundtot gemacht werden sollen. Ich finde solche Haltung dumm. „Nestbeschmutzung“ ist nicht schlecht oder übel, sondern notwendig. Netzbeschmutzer zu sein ist eine Kunst. Es gehören dazu allerdings Eigenschaften, über die nur eine Minderheit von Menschen verfügt. Wenn ich Wilhelmsburg als „kulturelles Provinzkaff“ bezeichne, ist dies in gewisser Weise „Nestbeschmutzung“. Schließlich lebe ich in dem Stadtteil seit 27 Jahren. Da könnte man beinahe von Nest reden. Aber aufgrund der Jahre weiß ich auch, wovon ich rede. Allerdings verdanke ich meine kreativen Fähigkeiten nicht der Elb-Insel. * Ich bin davon überzeugt, daß Nestbeschmutzung nicht nur etwas Lästiges ist, das man/Frau empört zurückweisen oder augenzwinkernd „tolerieren“ kann. Die Alternative wäre der totale Kompromiß: Sich gegenseitig vollzulügen, zu beschönigen, zurechtzubiegen, glatt zu bügeln, zu beschneiden, retouchieren, totzuschweigen. Damit wäre ich wieder bei der SPD. Danke, Herr Reijmaniwski, für Ihren Leserbrief. Ich bin nicht Ihrer Meinung, ganz und garnicht, aber Sie haben mir den Anstoß zu diesen Zeilen geliefert.
*** Vor einigen Wochen gab es einen bösen „Zwischenfall“ im Zusammenhang mit dem w.i.r. Das RIALTO-Kino lud einen Mann aus, der für den W.I.R. eine Lesung mit Rocko Schamoni besuchen und darüber schreiben sollte. Mit keinem Wort wird dieser Vorfall im W.I.R. erwähnt. Das ist ein Skandal. Nicht die Ausladung – bitte sehr, darüber kann man/Frau unterschiedlicher Meinung sein. Aber daß diese Sache komplett totgeschwiegen wird, zeigt, welcher „Geist“ in der W.I.R.-Redaktion offenbar herrscht. Die für die Ausgrenzung zuständige RIALTO-Mitarbeiterin schickte an die W.I.R.-Redaktion eine mail, in der sie die genaueren Umstände, Gründe für den Ausschluß detailliert beschrieb. Diese mail wurde von der W.I.R.-Redaktion nicht –was eigentlich eine Selbst-verständlichkeit gewesen wäre- an den betroffenen Mann weitergeleitet. Selbiger bekam die mail in ihrem Wortlaut von anderer Stelle.
                **Raimund Samson, Nestbeschmutzer**


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