Vorweg: Meine Erzählung über eine Organisation, die in den 70-er Jahren existierte, ist subjektiv. Es wäre natürlich interessant, jemand anderen zu hören oder einen Text zu lesen, in dem es um dieses Thema geht. °° Sigurd Debus wurde von der SH Hamburg betreut. Er hatte 1971 mit Genossen das HAZ = Hamburger Aktions-Zentrum gegründet. Sigurd schrieb Briefe aus dem Knast an eine SH-Frau, in der er sich ausführlich und teils schwärmerisch über den spanischen Bürgerkrieg, 1936-39, äußerte. Im Unterschied zur deutschen Bewegung, die kaum über den Status sektenhafter Zusammen-schlüsse hinauskam, hatten die spanischen Anarcho-Syndikalisten eine millionenfache Anhängerschaft. "Eine Sozialrevolution, in deren Folge Land und Fabriken kollektiviert und von der Arbeiterklasse verwaltet wurden, breitete sich in ganz Spanien aus. In Katalonien und in dessen Hauptstadt Barcelona setzte sich der Anarcho-Syndikalismus mehrheitlich durch. Daneben gab es noch andere Arten des An-

archismus, vor allem in Saragossa, und in Form von Bauernvereinigungen in Andalusien. Die Anar-chisten spielten eine zentrale Rolle im Widerstand gegen die Franquisten ..." -WIKIPEDIA- Sigurd Debus war ein glühender Anhänger freiheitlicher kämpferischer Ideen. Sein Leben endete tragisch. Bei einem Anschlag auf die JVA Celle, in der Debus einsaß, wurde ein Loch in die Außenmauer gesprengt. Sigurd wertete dies als untrügliches Zeichen, daß Genossen draußen an seiner Befreiung arbeiteten. Er schloß sich einem Hungerstreik von RAF-Gefangenen an, an dem er 19
81 starb. Später stellte sich her-aus, daß der Sprengstoffanschlag vom Verfassungsschutz inszeniert wurde, um Spitzel in die linksra-dikale Terror-Szene einzuschleusen. °° Im Rahmen des SH-Verbots 1975 oder 76 als "kriminelle Verei-nigung", in deren Folge es auch Razzien gab, schrieb ich einen Brief an die Polizei. Ich lud sie ein, mei-ne Whg. in Altona zu durchsuchen - aber sie "würden dort nichts finden". Es kam wie erhofft. Die Whg. wurde NICHT durchsucht - und ich bekam somit keinen Ärger mit meinen Vermietern. Mein Brief allerdings wurde bald darauf im Prozeß gegen den Bremer Anarchisten Wolfgang Q. -siehe https://www.spiegel.de/politik/frost-in-der-spielballsa-3ba188a2-0002-0001-0000-000041124846 vorge-lesen, unter Nennung des Absender-Namens. Ich galt daraufhin bei einigen Genossen als "Verräter". Mir war es ziemlich wurscht. Zumindest war ich niemandem böse. Unangenehm war nur, daß mit dem Verbot der SH und der Schließung des Büros in der Langenfelder Straße mein Bundeswehr-Seesack konfisziert wurde, auf den ich, gut leserlich meinen Namen geschrieben hatte. Ein paar Jahre später bekam ich den "Auskleidungsbefehl", d.h. ich sollte Seesack samt Inhalt: Stahlhelm, Parker, Schuhe u.a. zurückgeben. Ich fragte beim MAD = Militärischer Abschirm-Dienst an, wo ich meinen Seesack finden könne. Die Antwort: In einem Bundeswehr-Depot im Stadtteil Osdorf! Und tatsächlich: Mein Seesack war dort. Der Inhalt war unvollständig. Egal. Ich zahlte. °°° Es berührte mich kaum, daß ich als Verräter galt oder was auch immer. Ich war nämlich dabei, mich anders zu orientieren. Noch während meiner aktiven SH-Zeit lernte ich im Herbst 1974
Helga Goetze kennen, eine Dichterin, die es sich zur Aufgabe machte, Hamburger Spießer zu nerven, mit Gedichten zu bezaubern und eine sexuelle Revolution voranzutreiben. Das interessierte mich, war ich doch mit meinen 22 Jahren noch sehr unerfahren: Schüchtern, ja verklemmt. Ich stieg aus der A-Szene aus, las aber nach wie vor bestimmte Bücher und bewunderte Erich Mühsam. Der Mann war ein Dichter, der nicht zu stramm organisierten Polit-Zirkeln gehörte, sondern in Künstlerkreisen verkehrte und für die Idee der Freien Sexualität eintrat. Das Thema packte mich, dabei hatte ich einige Ängste. "Da musst du durch", sagte ich mir. Raimund Samson
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