Dienstag, 18. September 2012

Sloterdijk: Zeilen und Tage

Ich lese seit ein paar Wochen, mit Unterbrechungen, im neuen Buch von Peter Sloterdijk „Zeilen und Tage“. Wie ein Seismograph schreibend bewegt sich der Philosoph und Literat durch seinen Alltag, zu dem viele Reisen, Lektüren, Vorträge gehören. Immer wieder finde ich Passagen, die mir zu denken geben, Sätze, die so formuliert sind, daß sie als Motti zu eigenen Texten taugten. Über Schlingensief.: „Er war der einzige Situationist, der je von deutschem Boden aus operierte. Sein Talent, das ihm niemand absprechen konnte, ..., bestand darin, unbeherrsch-bare Vorgänge auszulösen, die man mit dem ästhetisch dubiosen Begriff „Aktionen“ belegte. (S. 459). Jetzt, beim Abschreiben des Zitats, möchte ich anfügen, daß es zumindest einen weiteren Situationisten gab, der „von deutchem Boden aus operierte“, nämlich Dieter Kunzelmann. Kunzelmann wurde in den 70-er Jahren berühmt (berüchtigt) als Gründer der Kommune 1 und Polit-Aktivist, der diverse Gefängnisaufenthalte absolvierte. Als junger Mann war er aber Jahre zuvor u.a. Mitglied der situationistischen Gruppe „Spur“ gewesen. * Im Zusammenhang mit dem „Baader-Meinhof-Komplex“ lese ich (S.487): „Allesamt waren wir damals Leute, die lernen wollten, dies und das nicht auszuhalten. Die Devise war, die eigene Sensibilität zur Waffe zu machen. Daraus ist heute eine undiagnostizierte Epidemie geworden: Der Wille zur Tyrannei der Empfindlichkeit gehört zur Grundausbildung jeder angreifend-angegriffenen Minderheit“.  Solche Sätze lese ich, stoße mich zugleich daran. Und lasse meine eigene Geschichte Revue passieren. So gesehen ist Sloterdijk für mich ein ungeheuer anregender Autor, der mit viel Gelassenheit viel beobachtet und viel notiert. Ein Profi. Zum Glück ist er kein Dogmatiker oder Ideologe. Er berührt Dogma und Ideologie thematisch immer wieder. * Ein Buch, das man weglegen und zu dem man zurückkehren kann.  *R.S.* 

Keine Kommentare: