Ich lese seit ein paar Wochen, mit Unterbrechungen, im
neuen Buch von Peter Sloterdijk „Zeilen
und Tage“. Wie ein Seismograph schreibend bewegt sich der Philosoph und Literat
durch seinen Alltag, zu dem viele Reisen, Lektüren, Vorträge gehören. Immer
wieder finde ich Passagen, die mir zu denken geben, Sätze, die so formuliert
sind, daß sie als Motti zu eigenen Texten taugten. Über Schlingensief.: „Er war der einzige Situationist, der je von
deutschem Boden aus operierte. Sein Talent, das ihm niemand absprechen konnte,
..., bestand darin, unbeherrsch-bare Vorgänge auszulösen, die man mit dem
ästhetisch dubiosen Begriff „Aktionen“ belegte. (S. 459). Jetzt, beim
Abschreiben des Zitats, möchte ich anfügen, daß es zumindest einen weiteren
Situationisten gab, der „von deutchem
Boden aus operierte“, nämlich Dieter Kunzelmann. Kunzelmann wurde in den
70-er Jahren berühmt (berüchtigt) als Gründer der Kommune 1 und Polit-Aktivist,
der diverse Gefängnisaufenthalte absolvierte. Als junger Mann war er aber Jahre
zuvor u.a. Mitglied der situationistischen Gruppe „Spur“ gewesen. * Im
Zusammenhang mit dem „Baader-Meinhof-Komplex“
lese ich (S.487): „Allesamt waren wir
damals Leute, die lernen wollten, dies und das nicht auszuhalten. Die Devise
war, die eigene Sensibilität zur Waffe zu machen. Daraus ist heute eine
undiagnostizierte Epidemie geworden: Der Wille zur Tyrannei der Empfindlichkeit
gehört zur Grundausbildung jeder angreifend-angegriffenen Minderheit“. Solche Sätze lese ich, stoße mich zugleich
daran. Und lasse meine eigene Geschichte Revue passieren. So gesehen ist
Sloterdijk für mich ein ungeheuer anregender
Autor, der mit viel Gelassenheit viel beobachtet und viel notiert. Ein Profi.
Zum Glück ist er kein Dogmatiker oder Ideologe. Er berührt Dogma und Ideologie thematisch
immer wieder. * Ein Buch, das man weglegen und zu dem man zurückkehren
kann. *R.S.*
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen