Montag, 20. Mai 2013

Gelesen: Frantz Fanon


Das Buch „Die Verdammten dieser Erde“  des 1924 in der Karibik geborenen Frantz Fanon genießt Kult-Status. In den 70-er Jahren geisterte es durch die Diskussionen mit Genossen, etwas  Überra-gendes war damit – aus diesem Grund las ich es nicht. Dieses Mythos-Ähnliche störte mich. Jetzt nahm ich es doch in die Hand. Ich fand die rororo-Ausgabe in einem Bücher-Regal im 12-er Bus in Berge-dorf. Und war, bin bei der Lektüre schwer beeindruckt. Fanon studierte in Paris, kämpfte auf Seiten der Resistance und ging dann nach Algerien, wo er sich auf die Seite der Aufständischen stellte. Die Ver-dammten dieser Erde“ ist eine Kampfschrift, ein im weiteren Sinn theoretisches Werk – aber fernab von jedem Akademismus. Fanon analysiert die Situation der bäuerlichen und städtischen Bevölkerung in Algerien, aber auch in anderen Ländern. Für ihn gehen die wesentliche Kraft, die revolutionären Impulse vom Land aus, von den Bauern, und nicht, wie in den europäischen sozialistischen Bewe-gungen, von den Arbeitern und vom Stadtproletariat. Aber er untersucht auch die Rolle der Intellek-tuellen. Das Faszinierende ist die Unmittelbarkeit seiner Darlegungen, seiner Gedanken. Fanon setzte ganz auf Nation und National-Bewußtsein. Auch die Kultur sah er in einer direkten Verbindung damit. Mit solchen Gedanken ist heute kein Blumentopf zu gewinnen – Nationalismus ist bähbäh, gilt als „rechts", pfui. In den 50-er Jahren  herrschten andere Paradigmen; Fanon ware kein Rechter. Er un-terstützte kompromißlos den bewaffneten Freiheits-kampf der Algerier, er war ein schwarzer Sozialist. Auch das, merke ich beim Schreiben, kann ich nur noch mit Vorbehalt so formulieren – schon das Wörtchen „Schwarzer“ gilt heute als politisch nicht ganz korrekt. ** Woher kommt die Kraft und Unverstelltheit bei Fanon? Sicher, er studierte und las viel und wusste von daher auch pointiert und offensiv zu formulieren. Für mich bemerkenswert ist, daß der Autor ökonomisch argumentiert –das tun die meisten oder zumindest viele Linke- ohne in einen abgehobenen theoretischen Stil zu verfallen. Fanon arbeitete als Psychiater, leitete in Algerien eine psychiatrische Anstalt. Dabei wurde er mit den Leiden, psychischen Traumata, seelischen Verstümmelungen der Kolonisierten wie auch der Koloni-alherren konfrontiert. Diese Erlebnisse, die Anschaulichkeit der verheerenden Folgen der Kolonisation, die sein täglicher Begleiter waren,  ließen ihn so eindringlich schreiben und fordern. Das letzte Kapitel des Buchs heißt  Kolonialkrieg und psychische Störungen. Fanon untersucht darin sowohl die Leiden der Kolonisierten, als auch die psychischen Störungen der Folterer. So etwas wäre heute kaum mög-lich. Immer tiefer rasten bei uns die primitiven Muster des „entweder-oder“ und des „links=gut / rechts=böse“ ein. Bei Fanon gibt es Radikalität und Kompro-mißlosigkeit,  aber die nicht jene Schwarzweiß-Muster, mit denen heute nivelliert und vereinfacht wird.  * Fanon wurde nur 37 Jahre alt. Er starb 1971 in New York an Leukämie, am selben Tag, als „Die Verdammten dieser Erde“   erstmals veröffentlicht wurde.         **RS**

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