Samstag, 14. März 2015

Ludwig Marcuse

Der Schriftsteller Ludwig Marcuse (1841-1971) arbeitete viele Jahre als Theaterkritiker und freier Schriftsteller in Berlin, Königsberg und Frankfurt/Main, bevor er 1933 Deutschland  verließ und über Umwege (Frankreich bis 1939, danach ein halbes Jahr UDSSR) in die USA gelangte. 1937 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt - 1944 erhielt er die amerikanische. Der nicht mit dem Namensvetter Herbert verwandte Erzähler und Philosoph publizierte bis zu seinem Tod zahlreiche Bücher, vor allem philosophischen Inhalts. "Mein zwanzigstes Jahrhundert - Auf dem Wege zu einer Autobiografie" ist das erste Buch, das ich von diesem Mann lese. Er beschreibt seine Kindheit und Jugend und, am ausführlichsten, die Jahre im Exil. Anfang der 60-er Jahre kehrte er aus den USA nach Deutschland zurück und wurde hier wieder ansässig. * Bei meiner Lektüre machte ich Dutzende Anmerkungen, notierte aus einer Überfülle mich interessierender Gedanken und Statements. "Und dann prägte uns noch eine dritte Gegenwart; E.T.A. Hoffmann, Spitzweg und Jean Paul hatten unsere Lehrer erfunden ... Dies Kauzig-Deutsche, Grotesk-Originelle, Eigensinnig-Provinzielle formte uns nicht weniger als 'Des Attischen Reiches Herrlichkeit' ..." Ich hebe "Dies Kauzig-Deutsche, Grotesk-Originelle, Eigensinnig-Provinzielle" durch Fettschrift hervor, weil mich die Zuweisungen an PEGIDA erinnern. Ich weiß nicht, wie Ludwig Marcuse die Proteste in Ost-Deutschland interpre-tieren würde - als Kundgebungen von "Nazis und Rassisten", wie in unseren Leitmedien gang und gäbe, würde er sie sicher nicht verorten. Jedenfalls kann auch ich dem Kauzig-Deutschen, Grotesk-Originellen, Eigensinnig-Provinziellen als menschliche Eigenschaften einiges abgewinnen - im Unterschied zu den ideologisierten und breitgestampften Platitüden aus dem Wortschatz der Political Correctness, die mehr und mehr unsere Nachrichten-Sendungen, Talk-Shows und Medienlandschaft allgemein verwüsten. Bis hinein in meine Privatsphäre, leider. Marcuse betont in seinem Buch, daß ihm Menschen stets wichtiger waren als Bücher - wobei hinzuzufügen ist, daß er sehr viel las und ein Literatur-, Theater- und Philosophie-Fachmann war. Er zeigt sich bzw. ist (in diesem Buch) sehr kompetent in den erwähnten Gebieten. "Nur Menschen, nicht Ideen haben mich beeinflusst; oder nur Ideen, die sehr individuelle Züge zeigten. Philosophie war mir immer Menschen-, nicht Ideen-Geschichte. Die biografische Einleitung ...schien mir immer den Philosophen nicht gemäß: den Sokrates, Fichte, Kierkegaard, Nietzsche, die am besten anschaulich machten, daß Philosophie nicht Wissenschaft ist. Meine beiden Berliner Philosophen trugen kein Sach-Gebiet vor, sie philo-sophiertem. Als ich Simmel denken sah und denken hörte, begann ich - nicht ein Gelehrter zu werden, sondern ein Denkender ... Simmel ... setzte im Hörer Prozesse in Bewegung, die mich zum ersten Mal fühlen ließen, was Freiheit ist: unkontrolliertes Sich-Bewußtwerden, man hat keine Ahnung, wohin es noch führen wird." Ich habe eine Ahnung, wohin mich die weitere Lektüre des Buches (wir befinden uns gerade auf S. 26) noch führte (391 S.). Das Lesen von der ersten bis zur letzten Seite war ein Abenteuer, unterhaltsam und anregend, das ich, speziell auf dieses Buch gemünzt, allen Blog-Lesern wünsche.  *RS*   (antiquarisch erstanden)

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