Es muß im Januar oder Februar 1975 gewesen sein. Ich war von einem SH-Genossen zu einem Gespräch im Keller-Laden des SK Hamburg = SchwarzKreuz Hamburg eingeladen. Das SK war eine Gruppierung ähnlich der Schwarzen Hilfe, aber kleiner. Ich wusste nicht, worum es in dem Gespräch gehen würde. Mir gegenüber saß ein Mann, der genau wissen wollte, mit welchen Waffen ich bei der Bundeswehr geschossen hatte. Wahrheitsgemäß erzählte ich "G3, Maschinengewehr, Uzzi-Maschi-nenpistole, Pistole". Obschon Kriegsdienstverweigerer, hatte ich beim "Bund" mit einigem Ehrgeiz versucht, möglichst präzise zu schießen. Der Mann machte sich Notizen. Ich weiß noch, wie ich betonte, daß ich eigentlich UNGERN mit den

Waffen geschossen hätte. Dies war zwar eine Lüge, aber es passte zu meinem Status als Kriegsdienst-verweigerer. Dieses "UNGERN" rettete mir vermutlich das Leben. °° Ich machte mir nach dem Ge-spräch keine Gedanken. Von dem Genossen, der mich in die Billroth-Straße geschickt hatte, erfuhr ich nichts Näheres. Ich fragte auch nicht. °°° Ein paar Wochen oder Monate später erfuhr ich dann aus den Nachrichten, worum es gegangen war. Ich hatte an einem Rekrutierungs-Gespräch teilgenommen. Es waren Leute gesucht worden für einen bewaffneten Überfall auf die Deutsche Botschaft in Stockholm. Holger Meins war bei einem Hungerstreik der RAF gestorben. Und nun sollten gut zwei Dutzend Gefangene der RAF und anderer terroristischer Organisationen freigepresst werden. Die Aktion ging fürchterlich schief. °° Der deutsche Militär-Attache Andreas von Mirbach wurde erschossen, weil die

Polizei sich weigerte, das von ihr besetzte Stockwerk zu räumen. Einige Stunden später wurde die nächste Geisel, Wirtschafts-Attache Heinz Hillegaart erschossen. Danach drohten die Terroristen, die noch im Gebäude verbliebenen Geiseln durch die Explosion von 15 kg Sprengstoff, die sie im Gebäude verteilt hatten, umzubringen. Dazu kam es nicht, weil der Sprengstoff vorzeitig explodierte. Dabei starb einer der Terroristen sofort, ein weiterer wurde schwerst verletzt und starb später in einem Krankenhaus. Die übrigen unverletzt gebliebenen 4 Terroristen wurden festgenommen, die letzten Geiseln wurden in Krankenhäuser gebracht. Was für ein Horror! Einer der Festgenommenen war der Mann, der Wochen zuvor im Keller-Laden des SK das Rekrutierungsgespräch geführt hatte. Er wurde später, wie die übrigen Beteiligten, zu zweimal "lebenslänglich" verurteilt. Alle Tatbeteiligten wurden nach ca. 20 Jahren aus der Haft entlassen.
Wenn ich zurück-überlege: Ich war heilfroh, mich dämlich verhalten zu haben. Wenn ich TROTZDEM auserkoren worden wäre, zu dem Kommando zu gehören, hätte ich wohl JA gesagt. Aus Verzweiflung. Es ging mir psychisch schlecht. Ich hätte es wahrscheinlich als Ehre und Ausdruck von "Kamerad-schaft" empfunden, an so einer Wahnsinns-Aktion teilzunehmen. "Durch Gefahr und Kampf zur Revolution". Oder so ähnlich. Wahrscheinlich wäre ich dabei umgekommen. Ich hatte Glück. °° Mitleid empfand ich damals nicht. Die erschossenen Botschaftsangehörigen waren für mich austauschbare Nummern. Man sah Bilder im Fernsehen und in den Zeitungen. Ich war kein RAF-Anhänger, aber klammheimlich freute ich mich doch, wenn es wieder mal "rummste". Ich hatte viel Haß und aufgestaute Wut in mir - da war kein Platz für Empathie für unschuldige Opfer. Was heißt überhaupt "unschuldig"? Waren diese Männer tatsächlich unschuldig? Heute weiß ich: Natürlich waren sie's. Aber damals, in den 70-er Jahren, gab es eine seltsame Moral, möchtegern-sozialistisch, daß Staatsdiener halt Pech haben konnten. Die Helden standen hingegen stets auf der anderen, "unserer" Seite. °° Heute lautet das Thema für mich persönlich in einer allgemeinen Weise: Wie gehe ich mit eigenen Aggressionen, Haß und Wut um? Wie kann ich sie LOS werden?!!! °° Diesbezüglich machte ich später, quasi-therapeutisch, wichtige, mich verändernde Erfahrungen. Es war mit Arbeit verbunden. Arbeit an sich selber.
Raimud Samson
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