Donnerstag, 9. Februar 2017

Botho Strauß - "Oniritti"

Zu Beginn wird das Wörtchen "Oniritti" erklärt. Es leitet sich vom griechischen "oneiros", zu deutsch "Traumgesicht" ab. "Oniritti also wären, verschränkt mit Graffiti, Bildschriften auf der Höhlenwand der Nacht" lese ich, und: "Artemidor, Traumdeuter des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, gliedert ... oneiros nach den Bestandteilen on und eirein (= legein), also: das Seiende sprechen. Was das Sein sagt." Dies ist keine Gebrauchsanweisung zur richtigen Interpretation der zahlreichen, unter-schiedlich langen Texte, enthält für mich aber genügend Information, um auf den einzelnen Seiten auf Reise zu gehen, mich inspirieren zu lassen. Das 276 starke Buch, das kürzlich im Hanser-Verlag erschien, ist voller Anspielungen, Andeutungen, Assoziationen, mit einem dissoziativen bzw. disso-nanten Grundton. Für mich sehr spannend. S. 42: "Die jungen Bürgerkriegstrümmerfrauen glichen den jungen Nachkriegstrümmerfrauen, die ich noch vor mir sehe, aufs Haar. Doch ..." und im gleichen Abschnitt weiter auf der nächsten Seite: "... Dabei tauchen mitten im elenden Straßenbild die Umrisse eines Theaterstücks auf: "Der Umzug" würde es heißen und wäre etwas formal Neues, wie es noch nie für die Bühne geschrieben wurde Etwas wie "Draußen vor der Tür" nach dem letzten Krieg. Umzug als politisches Gleichnis, Umzug aber auch mit allem Drum und Dran ..." Strauß bezieht sich hier auf Rudolf Borchert. Aufmerksam wurde ich auf "Oniritti" durch einen ausführ-lichen Verriß in der Ausgabe 5/17 der Jungen Freiheit unter dem Titel "Pankraz, Botho Strauß und der Weg in den Alptraum", in dem der JF-Autor u.a. kritisiert, ja jammert "Was soll das?" Angeblich können "Strauß-Verehrer" nur "ratlos den Kopf schütteln". Nein, behaupte ich, sie können mit ihrem Kopf auch anderes tun, zB sich konzentrieren und aufmerksam lesen und das Gelesene auf sich wirken lassen. Pankraz scheint Erwartungen an dieses und überhaupt an Bücher zu hegen, als handele es sich bei ihnen um Rezepte oder Gebrauchsanweisungen für den Alltag oder besondere Situationen. Ich behaupte: man kann Bücher auch als rätselhafte Andeutungen lesen, als An-Spielungen, wie Träume, zu Wort gebrachte a-normale Zustände --- wie Musik beinahe. Etwas, das ich nicht endgültig rational verstehe und "richtig" interpretiere. Etwas, das nicht letztlich "dingfest" gemacht werden kann, etwas, das sich entzieht, entschwindet weil zu flüssig. Ist es so nicht mit manchen Traumbildern? Ich beharre auf dieser Unklarheit, weil ich ständig, jeden Tag, von fast allen Seiten mit Nachrichten, politischen Informationen, naturwissen-schaftlichen Erkenntnissen bombardiert werde, ob von "rechts" oder von "links", alle bieten Gebrauchsanweisungen an, Rezepte, Pläne, taktische Konzepte. Alle wissen alles besser. Hier nun aber ein Schriftsteller, der mit mir dem Leser nicht in einen illusionären Dialog tritt, sondern mich allein läßt mit seinen Aufzeichnungen, die sich mir nicht beim ersten Lesen entschlüsseln. Irgendwie faszinierend. ** ich lese nicht das ganze Buch Seite für Seite hintereinander, sondern genehmige mir häppchenweise daraus.  ** Auch wenn ich eine ganz andere Haltung zu diesem Buch einehme als der JF-Autor, der mich darauf brachte - an meiner Wertschätzung für die Junge Freiheit ändert sich nichts.
                                                                                                 *RS*
    

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