Dienstag, 6. November 2012

Glück und Elend der Romantik

Das erste Kapitel Gestundete Zeit beginnt so: „Unter den Großen war er der Ungeduldigste. Entweder gelingt etwas sofort, oder es gelingt nie – das war die Prämisse seiner Arbeit, ausge-wiesen durch kaum glaubliche, nur Mozart und Schubert vergleichbare Geschwindigkeit und Sicherheit im Vollbringen. Schon die Einstiege dulden keinen Aufschub. Als wolle er nicht wahrhaben, daß es noch anderes gibt als Musik, stürzt er in sie hinein. ... Entweder wirft Schumann sich wie besinnungslos hinein, oder er ist von vornherein mittendrin, als habe er sich nie woanders befunden. Manchmal kommt er freilich an traditionellen Formalitäten nicht vorbei, komponiert indes, wo und wie er nur kann, gegen den Schein des Üblichen...“ – Der Autor dieser sehr speziellen Biografie über Robert Schumann (1810-56), Peter Gülke, schreibt nah an der Person des Komponisten, immer mit einem Rest Distanz selbstverständlich, aber ansonsten in kongenialer Nachbarschaft, „hautnah“ sozusagen. Schumanns Werk ist einer der absoluten Höhepunkte der Deutschen Romantik. Und es wird mehrfach deutlich: Zuvor war der „Sturm und Drang“ die prägende Epoche; zwar nicht ausdrücklich für die Musik nachgewiesen –der Begriff ward für literarische Strömungen und Stil gefunden- aber es gab enge Verwandtschaf-ten und Parallelen zwischen Literatur und Musik. Dies läßt sich auch am Beispiel Schumanns nachweisen, der sich in vielfacher Hinsicht an Poesie und Literatur orientierte, etwa an Jean Pauls Romanen, an E.T.A.Hoffmann u.a.. Auch die Zeit der Empfindsamkeit wirkt noch in die Romantik, auch wenn letztere mehr Gegen-Aufklärung war, Rückbesinnung auf Gefühl, Phantasie, man könnte sagen: Irrationales. * Peter Gülke ist ein Fachmann, der mit seinem Buch Seite um Seite vom Werk Schumanns her, von seinen Sinfonien, Kammermusik, Liedern usw. argumentiert. Da kann ich als Laie nicht immer folgen, sehe aber staunend, mit welcher Genauigkeit und Konsequenz der Schriftsteller werk-orientiert wiedergibt und mit seinen Beschreibungen in Schriftsprache übersetzt, was –am Beispiel Schumann- der Geist oder das Wesen der Romantik war.  Eine Textprobe (S.138): „So auch im zweiten Themenkomplex, mehr sequenzierend gedrehtem Singenwollen als Gesang, das kein harmonisches Fundament findet und, wo es auf Ballungen zuläuft, schnell wieder fortgerissen wird. Das geschieht dreimal auch in der „Durchführung“, in der die zur Kantabilität drängende Dynamik zum Ziel gelangt. Die weit auseinander liegenden Regionen (cis/Cis, Gis, B und F), in denen das geschieht, lassen dieses Mittelstück mit den hastig absolvierten Extrempositionen wie ein überschnell gedrehtes Kaleidoskop erscheinen. ...“ * Ich fand das Buch (Paul Zsolnay Verlag) preisgünstig bei 2001. Es ist Lesern zu empfehlen, die mehr als einen flüchtigen Eindruck suchen. Gülke betreibt Musikwissenschaft der anspruchsvollsten Art. Ein seltenerer Spezialist mit dem Wissen eines Forschers. *R.S.* 

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