Montag, 23. Januar 2012

Leo Trotzki: "LITERATUR und REVOLUTION"


Leo Trotzkij (1879-1940), russischer Theoretiker der Weltrevolution, baute ab 1918 die Rote Arbeiter- und Bauern-Armee auf und war einige Jahre lang deren Oberbefehlshaber. Er war nicht nur ein glänzender Heerführer, sondern umfassend gebildet und u.a. ein profunder Kenner der westeuropäischen und russischen Literatur und ihrer Entwicklung. Die in dem Buch „Literatur und Revolution“ abgedruckten Aufsätze entstanden zwischen 1904 und 1923. Bisher war mir Trotzkis „Theorie der permanenten Revolution“ ein Begriff und ich wusste, daß er von Stalin aus Rußland vertrieben (1929) und im mexikanischen Exil schließlich von einem russischen Agenten ermordet wurde. Die in diesem Band zusammengefassten Schriften enthalten viele für mich interessante Informationen. * Der aus einer jüdischen Bauern-Familie stammende Trotzkij kannte die Werke viele Schriftsteller genau, war mit Temperament, Ideologie, stilistischen Eigenheiten, persönlichen wie gesellschaftlichen Entwicklungen der Dichterinnen und Autoren bestens vertraut. Auch wenn er sich polemisch, kritisch, sarkastisch über einige äußert, etwa über Wladimir Majakowskij: Letztlich zeigt er Respekt, beweist mit seinen Essays, daß er selber schreiben kann, sich mit den Autoren, was die Beherrschung der handwerklichen-sprachlichen Ausdrucksmittel betrifft, „auf Augenhöhe“ befindet. * Das Buch gewährt tiefe Einblicke in die russische Kultur und Literatur-Szene im frühen 20. Jahrhundert sowie die Denkweise eines Mannes, der ein exzellenter Stratege war. Es ist spannend zu lesen. Ich erfahre u.a. Näheres über die russischen Futuristen, aber auch über die Beziehungen der damaligen Bürger zum Volk – zu den Arbeitern und Bauern. Leo Trotzkij selbst stammte aus einer ukrainischen Bauern-Familie, ließ sich von radikaldemo-kratischen Ideen leiten und wurde als junger Mann zum „Volkstümler“. Neben den Volkstümlern (Narodniki) gab es –auf Seiten der Opposition- die Intelligenzler, zu denen, grob gesagt, Vertreter der gebildeten Schichten zählten, die sich später großenteils der Revolution anschlossen. Für mich liest sich „Literatur und Revolution“ über längere Passagen wie ein spannendes Geschichtsbuch. Der Autor ist „engagiert“, aber trotz seiner ideologischen Überzeugung wird er nicht plump oder wissenschaftlich-steril. Er sieht und bewertet Künstler und Dichter nicht allein nach Nützlichkeits-Kriterien, sondern begegnet ihnen mit großem Respekt. Im mexikanischen Exil pflegte er Kontakte zu den Malern Diego Riviera und Frida Kahlo. 1938 verfasste er ein Manifest für eine revolutionäre Kunst, das u.a. von Andre Breton unterschrieben wurde. * Ich werde durch die Lektüre nicht zum Trotzkisten –der Mann ließ als Heerführer u.a. Bauernrevolten und den Aufstand der Kronstädter Matrosen „mit erbarmungsloser Härte und Massenerschießungen“ (Wikipedia) unterdrücken. Trotz seiner Verantwortung hierfür sehe ich in Trotzkij einen kompetenten Kritiker und Kenner der russischen Intelligentsia und Literatur-Szene. Er beweist umfassendes psychologisches wie politisch-soziologisches Verständnis für die Menschen, über die er schreibt. * Das Buch erschien 1994 im „Arbeiterpresse-Verlag“ und ist nur antiquarisch zu erwerben oder über staatliche Bibliotheken auszuleihen. *R.S.*

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