Montag, 10. Dezember 2012

Befreiungstheologie

Der SPIEGEL führte in Brasilien ein Gespräch mit dem 73-jährigen Befreiungstheologen Leo-nardo Boff. Der Mann verstand sich bis in die 80-er Jahre gut mit Josef Ratzinger, bis er mit seinen ketzerischen Thesen zunehmend in Ungnade fiel, immer mehr unter Druck gesetzt wurde. 1992 trat er aus dem Franziskaner-Orden aus und legte sein Priesteramt nieder. Boff wird Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XIII vor, primär damit beschäftigt zu sein, den Machtapparat des Vatikan zu stärken, statt für Aufbruchstimmung zu sorgen. „Die Kirche von heute hat den Menschen in ihrem Alltagsleben nichts mehr zu sagen.“  Dieser Vorwurf ist nicht neu. Seit den 60-er/70-er Jahren hat die Kirche in Deutschland stets an Zulauf und Mitgliedern verloren. Die Frage ist m.E., inwieweit die katholische Kirche ihre zweifellos immer noch sehr große Macht auflockern und für tiefgreifende Reformen öffnen kann, ohne daß es am Ende dieses Prozesses der ganze Apparat zerfällt. *  Ich möchte Boff in sehr vielem zustimmen, ganz zu schweigen davon, daß er ein ehrenwerter und höchst respektabler Mensch ist, der sein ganzes Leben christlichen Ideen gewidmet hat. Es gibt aber große Unterschiede etwa zwischen Lateinamerika, wo oftmals noch feudale Strukturen herrschen mit bitterer Armut und Massenelend, während in Europa und speziell in Deutschland ganz andere Lebensbedin-gungen herrschen. Kann die katholische Kirche de-zentralisiert werden? * Das SPIEGEL-Interview ist interessant, weil Leonardo Boff ein Kenner der Kirche und genauer Beobachter ist. Er vergleicht den jetzigen Papst mit seinem Vorgänger: Papst Johannes Paul II. „war anders als Ratzinger ein Charismatiker, allerdings ein schwacher Theologe. Er konnte auf Menschen zugehen und sich ihrer Probleme annehmen. Er hatte eben nur diese Marxismus-Phobie, die er mit sich herumschleppte. Aber spätestens nach dem Fall der Berliner Mauer spielte nicht einmal für die radi-kalsten der Befreiungstheologen der real existierende Sozialismus eine Rolle mehr. ... Bei einem Besuch brasilianischer Bischöfe in Rom sagte er dann wenige Jahre vor seinem Tod, er verstehe uns endlich. Und er bestätigte das gegenüber dem Kardinal Evaristo Arns: „Unter den Umständen von Un-terdrückung kann die Befreiungstheologie nicht nur nützlich, sondern sogar notwendig sein“. * Es gibt eine ganze Reihe von Büchern des Befreiungs-Theologen, z.B. „Kirche: Charisma und Macht: 25 Jahre Befreiungstheologie“, „Die Erde ist uns anvertraut: Eine ökologi-sche Spiritualität“, „Leonardo Boff und die protestantische Theologie“, „Die Kirche neu erfinden“  ua  Auf You Tube gibt’s eine Menge Film-Material mit Vorträgen und Interviews mit Professor Boff.  **RS** 

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