Sonntag, 8. November 2015

Akif Pirincci: "Die große Verschwulung"

Der Klappentext wirbt damit, daß Akif Pirincci im letzten Jahr mit "Deutschland von Sinnen" seinen ersten "Sachbuchbestseller" landete. Das Wörtchen ist unzutreffend. Das erwähnte Buch ist kein Sachbuch, und "Die große Verschwulung" ebenfalls nicht. Beide Bücher sind total emotionale und den Leser emotionalisierende Schreiberzeugnisse, nicht zufällig oder "unbewusst" ans Gefühl gerichtet - Provokationen halt. Pirinnci ist ein bis in die letzten Haarspitzen von negativen Gefühlen erfüllter Schriftsteller, extrem un-sachlich. Mit "Die große Verschwulung" startet er erneut einen Rundumschlag. Der Mann ist beleidigt - und rächt sich nun auf seine Art. Das ist nicht unbedingt das holdeste Motiv, um ein Buch zu schreiben, aber legitim. Hätte der Mann bei der Pegida-Demo in Dresden eine weniger aggressive und politisch gefährliche Rede gehalten, ich könnte mich leichter und weniger aufgewühlt zu diesem Buch äußern. Der Autor weiß, was er tut. Er riskiert Kopf und Kragen, spricht Dinge aus, die manch andere in Deutschland ähnlich spüren oder empfinden, vielleicht sogar denken, aber nicht zu sagen wagen. Der Autor ist kein Nazi, aber er begibt sich in unmittelbare Nähe zu reaktionären, einer totalitären Weltanschauung huldigenden Menschen, indem er mit Kopf UND Bauch schreibt mit dem festen Vorsatz, nicht zu relativieren. Im Gegenteil. Er polarisiert. Akif Pirincci hat erstaunlich oder sollte ich sagen: bewundernswert, wenig Angst davor, sich unbeliebt zu machen. Er vertritt keine gegen körperliche Homosexualität gerichtete Haltung - seine Wut tobt gegen eine gefühlsmäßige Weicheier-Mentalität, die einerseits Männer zu halben oder Dreiviertel Weibern macht und machen soll (!!??), auf der anderen Seite aber Frauen nicht zu Männern formt. Die für Kinder in diesem Land erarbeiteten Richtlinien der Gender-Erziehung werden systematisch von der SPD und den Grünen -nicht zu vergessen der evangelischen Kirche, die in weiten Teilen Deutschland fast identisch ist mit der SPD- in Umlauf gebracht und stellen althergebrachte Werte auf den Kopf. Als guter Deutscher bzw. Eingedeutschter hat Akif etwas dagegen. Die herkömmliche heterosexuelle Familie ist, als leitkulturelle Größe, in Gefahr. Da ist eine Menge dran. Auch wenn manche Äußerungen Pirinccis polemisch überspitzt sind - im Kern spricht er Wahres aus. Er überzieht ihm nicht (an)genehme Verweichlichungs-Tendenzen mit Häme und Haß, schreckt auch vor Beleidigungen konkret genannter Personen nicht zurück. Er zitiert akkurat, da kann ihm niemand am Zeug flicken. ** Im Kapitel "Sex" (S. 161-179) schreibt Akif auch über eigene Erfahrungen. Bei seinem ersten Mal, als 16-jähriger, war er impotent. Ein mutiges wie cleveres Geständnis. Clever, weil der Autor das Zugeben einer Schwäche in eine besonders starke Position ummünzt, von der aus er autoritär und ohne den Hauch eines Zweifels seine Leser belehrt. Oberlehrer Pirincci hat keine Hemmungen, auch über weibliche Sexualität zu dozieren, auf seine coole Art - als sei er mit Vagina und Klitoris auf die Welt gekommen. Ohne den Dresden-Auftritt hätte er mit diesem Buch einen weiteren Achtungs-Erfolg erzielt, auch wenn "Die große Verschwulung" durch und durch trivial, ja banal ist. So hardcoremäßig und zugleich magisterhaft hat schon lange kein Autor in Deutschland mehr zugelangt - außer ihm selber. In Dresden lieferte er allerdings seinen Gegnern eine Steilvorlage und scharfe Munition - gegen ihn. Die vom Autor erzeugte Spannung, mit der er dem "vor lauter Dekadenz sterbenden Land" den erigierten Mittelfinger zeigt, entlud sich vorzeitig. Gegen ihn. Jetzt wird der Autor boykottiert. Aufgrund eigener riesenhafter Dummheit. Mit katastrophalen Folgen. Naja, es gibt Schlimmeres. Ich sympathiere mit Pirinnci, mit dem mutigen Mann. Mitleid habe ich nicht. Dafür ist mir Akif viel zu clever, ausgebufft und vermögend. In einem JF-Interview jammert er und klagt, daß andere Autoren sich gegen ihn gewandt hätten. Ist er wirklich so naiv, anderes zu erwarten? In der Literatur-Szene herrscht knallharter Egoismus. ** Zurück zum Buch. Dies ist das dritte, das ich von ihm lese. Auf absehbare Zeit wird es auch das letzte sein. Ich habe jetzt insgesamt gut 50 € ausgegeben. Das reicht erst mal. Ich habe noch viel zu lesen und zu reflektieren. Polemisch ist P. einsame Spitze - literarisch gibt es weitaus stärkere Produkte. 272 S, 17 € 80, über den Buchhandel nicht lieferbar, kann aber im Internet bestellt werden
                                                                                                    *RS* 
      

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