In den 70-er Jahren erschütterte eine Mordserie die USA.
Das passiert öfters in dem Land, aber dieser Killer und die Begleitumstände
seiner Taten waren ungewöhnlich. Ted
Bundy, * 1946, begann seine Serie 1974 im äußersten Nordwesten der USA, bis sie
1978 in Florida endete, im Südwest-Zipfel des Landes. Mindestens 28 junge Frauen und Mädchen tötete
Bundy, in einigen TV-Dokus ist von 34 Opfern die Rede. Bundy erhielt den
Beinamen „Gary Grant der Serien-Killer“,
weil er gut aussah, charmant und redegewandt war. Seine Auftritte vor Gericht,
bei denen er sich selbst verteidigte,
waren Medien-Ereignisse. 1976
wurde er erstmals verhaftet. Er fiel auf,
weil er nachts mit unbeleuchtetem Auto durch die Straßen fuhr. Der
Polizist, der ihn anhielt, fand im Kofferraum Handschellen, Sturmhauben, Stech-
und anderes Werkzeug. Auf die Frage, was er damit vorhabe, antwortete er clever,
daß „sowas“ heutzutage „doch jeder im Auto“ habe. 1977 gelang ihm zweimal die
Flucht aus Gefängnissen. Er kam auf die berühmte Liste der zehn meistgesuchten
Verbrecher der USA. Das spornte ihn vielleicht noch an, denn er hörte mit dem
Morden nicht auf. * Es gibt viele Publikationen über T.B., es wurden
Dokumentar- und mehrere Spielfilme über ihn gedreht. Im Internet gibt es eine
Menge Informationen. Praktisch sein ganzes Leben wird dargestellt und
untersucht, bis zu seiner Hinrichtung auf dem Elektrischen Stuhl 1989 in
Florida. Bundy war hoch-intelligent; er hatte Psychologie studiert, später mit
Jura angefangen. In seiner Heimatstadt war er bei den Republikanern politisch
aktiv. Zur Legende des toughen Mannes, des good
boy, gehörte auch, daß er einst Pfadfinder und in der Telefon-Seelsorge für
Suicidgefährdete tätig war. * In di-versen Filmen wird versucht, Erklärungen zu
finden, wieso dieser Mann zum hochgefährli-chen Killer wurde. Was in
Psycho-Thrillern inszeniert wird und im Kinobesucher be-klemmende Gefühle
erzeugt, war dieser Mann tatsächlich. Die
Inkarnation eines Alptraums. Er suchte seine Opfer offenbar nach einem
bestimmten Muster aus. Die jungen Frauen waren hübsch, trugen langes, in der
Mitte gescheiteltes Haar. Sie hatten, wie später festgestellt wurde, Ähnlichkeit
mit einer großen Liebe von Bundy, einer jungen Frau, mit der er zusammen war,
die ihn aber verließ. So etwas passiert vielen Männern. Es ist hart, aber
niemand wird dadurch zum Mörder oder gar Serien-Killer. Ein anderes Ereignis,
das auch in den Dokus erwähnt wird, muß ihn mehr gekränkt, ja traumatisiert
haben. Bei einem Besuch in seinem Geburtsort in New Jersey fand Bundy in den
frühen 70-er Jahre heraus, daß mit seiner Familie etwas nicht stimmte. Seine
ältere Schwester, mit der er sowie mit weiteren Geschwistern aufwuchs, war in
Wahrheit seine Mutter. Der Mann und die Frau, die er für seine Eltern hielt,
waren in Wirklichkeit seine Groß-Eltern, d.h. die Eltern seiner Mutter. Man
kann sich ausmalen, daß die Entdeckung psychologisch schwerwiegende Folgen für
Bundy hatte. Vielleicht hatte er auch etwas geahnt. Mehr als 20 Jahre lang war
er getäuscht worden. Seine Sozialisation beruhte auf Bluffs und
Täuschungsmanövern. Die ganze Inszenierung war wohl „gut gemeint“. Seine
Mutter, die ihn unehelich geboren hatte, litt unter psychischen Problemen. Ihr
und den anderen Beteiligten sollte die Familie Identität und Sicherheit bieten,
eine schützende Fassade. Für Bundy muß jedoch
seine Welt zusammen gebrochen sein. Alles, was er zuvor erlebt hatte, war in
gewisser Hinsicht falsch gewesen. *
Auch wenn sich bei so einer Entdeckung Abgründe auftun – sie ist kein zwingender
Grund, zum Mörder zu werden... ** Ich habe eine These, als quasi ein Mosaiksteinchen
neben mehreren anderen. Bundy drehte, indem er ein Doppelleben führte bis hin
zu TV-Auftritten, den Spieß um. Er war zum Opfer jahrzehntelanger Mani-pulation
geworden, ohne es zu bemerken. Die Manipulation hatte funktioniert. Nun spielte
er selber falsch, und zwar bewusst
und mit böser Absicht. Was zuvor gelungen war, mit ihm als Opfer, wieso sollte
es nicht weiter funktionieren? Aber diesmal würde er die Welt täuschen. So führte er eine perfekte Doppel-Existenz.
In Seattle wurden auf dem Campus Gelder für ihn gesammelt, zu seiner
Verteidigung. Es war für die Leute dort unvorstellbar, daß er tatsächlich der gefährliche
Psychopath war, als der er entlarvt wurde Sie kannten ihn ganz anders. * Bundy
leugnete, obwohl durch Zeugenaussagen und Indizien eindeutig überführt. Erst
als die Hinrichtung (1989) näher rückte, begann er auszupacken. Nach und nach.
Um immer wieder Aufschübe für seine Exekution zu erreichen. Denn seine Angaben
mussten überprüft werden. Das kostete Zeit. Es konnten etliche Fälle geklärt
werden, auch einige, die man Bundy bis dato nicht angelastet hatte. Irgendwann
spielte die Justiz nicht mehr mit. Am Tag vor seinem Ende gab er noch ein Interview,
in dem er über seine Beweggründe sprach.
Er behauptete, Pornografie habe ihn dazu gebracht, zum Serienkiller zu
werden. Hier täuschte er noch ein letztes Mal die Menschen. Mit seiner
Behauptung wollte er, so scheint mir, ein letztes Mal eine falsche Spur legen. Vielleicht lebte er an einigen Opfern
Phantasien aus, die er in Porno-Filmen gesehen hatte. Aber nicht die
Pornografie war schuld, sondern er selber. * Und es gibt noch ein
Mosaiksteinchen, das vielleicht wichtig ist, um die ganze Wahrheit dieses Menschen und seiner Geschichte zu verstehen.
Als T.B. vierzehn war, verschwand eine acht-jährige Cousine von ihm spurlos.
Der Fall wurde nie aufgeklärt. Vielleicht beging Bundy schon mit 14 seinen
ersten Mord? * Das Internet ermöglicht, eine riesige Menge an Informationen zu
bekommen. Tote lassen sich nicht wieder lebendig machen, aber man kann
Geschehnisse auf eigene Fauste erforschen und, „nah an der Wirklichkeit“, zu
eigenen Thesen gelangen. Natürlich bleibt manches Spekulation. Ich fand die
Recherchen spannender als manchen der Krimis, die ich zuletzt las. *R.S.*
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