Ustinov (1921 - 2004) gelingt es in seinem Buch, unterhaltsam über ein ernstes Thema zu schreiben. Was verhindert die freie Kommunikation von Menschen
untereinander? Was führt bisweilen zu heftigen, ja kriegerischen Konflikten? Was
macht Menschen immer wieder unglücklich? Ustinov, der russisches,
französisches, deutsches, italienisches und äthiopisches Blut in seinen Adern
hatte, verweist auf verschiedene Arten von Voreingenommenheit, die das Miteinander
erschweren oder unmöglich machen. „Vorurteile
sind wie Marmorplatten, die unter sich ihre größten Rivalen, den Zweifel und
die Wahrheit, begraben.“ beginnt das
Kapitel „Kaugummi“ (S. 25-26). Der
Satz sitzt. Und darin steckt eine provokativ formulierte philosophische
Aussage, die es in sich hat! Der Schauspieler ("Quo vadis" u.a.), Regisseur, Schriftsteller und
Dramatiker reiht mehr als 100 ein bis drei Seiten lange Geschichten in dem Buch
aneinander, deren roter Faden die Macht des Vorurteils ist. Einstein wird mit den Worten zitiert „Ein Vorurteil ist schwerer zu spalten als
ein Atom“. Ustinov, der u.a. seit 1968 Sonderbotschafter der UNESCO war und
mit seiner eigenen Stiftung Schulen in Afghanistan baute, wirft seinen reichen
Schatz an Erfahrungen und Weis-heiten in die Waagschale, um für die Idee einer menschlicheren Welt zu
werben. Ganz ausrotten wird er, werden „wir“ Vorurteile jedoch nie, das weiß
jeder, der sich näher mit dem Thema befasst. Kein Vorurteil zu haben bedeutet, alles oder zumindest sehr viel
über andere Individuen, Volksgruppen, Länder usw. zu wissen. Aufklärung ist
vonnöten. Aber: Jede Aufklärung stößt irgendwann an ihre Grenzen. Es sind
genaue Beobachtungen, mit Witz und Klugheit formulierte Begebenheiten,
Gleichnisse beinahe, die das Buch in den schmalen Kanon sensibler politischer Literatur erheben. Ustinov
ist Moralist, aber er unterläuft oder überspringt ideologische Fallen und Platitüden.
Hier schreibt ein Kreativer – und nicht ein Oberlehrer. „Was ist ein schlagenderer Beweis für den Wahnsinn, als die Un-fähigkeit
zu zweifeln?“ Bei diesem Satz fällt
mir ein Beispiel aus der Tabak-Industrie ein, das Ustinov nicht mehr erleben
konnte. Seit einiger Zeit irritiert MARLBORO
mit dem Spruch „Don’t be a maybe“. Frei
übersetzt heißt dies: Zweifle ja nicht! Zweifeln ist uncool, ungeil. Wer
zweifelt, kauft nicht, ist ein schlechter Konsument... interpretiere ich.
Vielleicht hätte Ustinov zu Lebzeiten diesen Spruch aus der Werbe-Branche
aufs Korn genommen. * Der Autor und Schauspieler erwähnt mehrfach, mit welch
großen Männern er befreundet war: Helmut Schmidt, Gorbatschov, Harry Belafonte.
Damit verleiht er seinen Beobachtungen und dem ganzen Buch zusätzliches
Gewicht. Es überzeugt mich jedoch nicht. Am Ende ermüdet es mich zu lesen,
mit welchen super-bekannten und berühmten Menschen Ustinov per Du war. Ich bin
sicher, daß er nicht übertreibt oder gar lügt. Aber ich fühle mich, je mehr er
sich auf andere „Große“ bezieht, immer weniger persönlich angesprochen. Dabei
berührt mich sein Thema ungemein. 224 Seiten, rororo *R.S.*
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