Montag, 29. Juni 2015

Iris Radisch über "CAMUS" (Biografie)

Der Untertitel der Biografie lautet "Das Ideal der Einfachheit". Die Literaturkritikerin Iris Radisch (bekannt geworden u.a. durch ihre Teilhabe am Literarischen Quartett mit Reich-Ranicki und Karasek) folgt den Spuren des französischen, in Algerien geborenen und verwurzelten Schriftstellers und Philosophen Albert Camus (1913-1960) von dessen Geburt an in einer ärmlichen Lehmhütte in Nordafrika. Der Vater stirbt bald danach im ersten Weltkrieg als Soldat für Frankreich. Camus Mutter war eine denkbar einfache, ungebildete, schwerhörige, "geistesabwesend" und apathisch wirkende Frau, wird von ihrem Sohn aber zeitlebens verehrt. Der Werdegang von Camus ist fast ein Wunder, da er -im Unterschied etwa zu seinem späteren Widersacher Sartre- unter schwieigsten Verhältnissen groß wurde und vergleichsweise wenig Förderung erfuhr. Iris Radisch versteht es, den Charakter des Schriftstellers, sein Leben und seine Gedanken-Welt mit der literarischen Arbeit sehr differenziert und präzise zu verknüpfen und zu erzählen.  Ich erfahre einiges über den Mann, was ich bisher nicht wusste, etwa über seine ewigen Weibergeschichten. Camus hatte stets mehrere Frauen gleichzeitig, auch wenn er zweimal verheiratet war. Er hinterging seine Frauen und Geliebten aber nicht - sie wussten voneinander. Im Werk spielen Frauen stets nur Nebenrollen. Die Radisch kratzt am Mythos Camus, ohne ihn zu zerstören bzw. ideologische Erwägungen über das Werk zu stellen. Obwohl der spätere Literaturnobelpreisträger viele Jahre in Frankreich und auch in Paris lebte, materiell abgesichert und als Schriftsteller anerkannt war, vergaß er seine Wurzeln nie. Er  versuchte an die alte, ihm liebgewordene Einfachheit seiner Kindheit und Jugend, an sein Glück ohne materiellen Reichtum anzuknüpfen, schreibend und philosophierend. Ganz gelang es ihm nie, was nicht verwunderlich ist. Diese Situation: Rückerinnerungen an bessere, zumindest andere Zeiten, kennen wir von vielen Künstlern. Künstlerische Werke sind oftmals der Versuch, über die eigene Kreativität sich Welten offen zu halten, die als Realität nicht mehr existieren. Iris Radisch hat ein feines Auge auch auf die Zeit und Lebensumstände während der deutschen Okkupation. Camus wahrte eine größere Distanz zu den Okkupanten und mit ihnen kollaborierenden Franzosen als Sartre. Später gab er eine Zeitung mit heraus, die anarchistisch orientiert war, ganz anders als bei Sartre, der politisch viel ambitionierter und geschulter und ein  meisterhafter Stratege war. Sartre stellte sich auf die Seite der marxistisch geschulten, orthodox ausgerichteten Kommunisten. Am Ende, so könnte man sagen, behielt aber Camus recht. Der Staatssozialismus ging unter, libertäre Ansichten und Ideen überlebten. Dies ist wohl auch eine Interpretationsfrage: was heißt "Anarchismus"? Der Begriff enthält eine Bandbreite von Inhalten und Interpretationsmöglichkeiten. ** Camus entwickelte eine Philosophie, in der der mittelmeerische Raum eine besondere Rolle spielte - und den er vor allem vom Deutschtum abgrenzte. * Seit ich diese Camus-Biografie von Iris Radisch las, glaube ich zu wissen, weshalb Ernst Jünger sein Alterswerk "Eumeswil" im Mittelmeerraum ansiedelte.  
                                                                                                                    *RS*
   

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