Freitag, 4. März 2011

Kein Traum Kein Leben


Das Buch beschreibt zum einen die praktische Arbeit von Künstlern in Altenpflegeheimen. Brian Fitzgibbon, Karl-Ulrich Iden, Peter Loeding besuchten regelmäßig Heime, um dort zu malen, zeichnen und skizzieren. Zumindest einige der im Buch abgedruckten Bilder entstanden später im Atelier. Renate Liptow gestaltet mit Fotos und Texten (Interviews u.a.) einen erzählerischen und bildhaften Raum, in dem alte Menschen im Mittelpunkt stehen, die sie betreute und sich intensiv mit ihrer Lebensgeschichte befasste. Der zweite Schwerpunkt von "Kein Traum Kein Leben" sind Abbildungen von Gemälden der Künstler-Gruppe "Die Schlumper", die damals zum größten Teil noch in den Alsterdorfer Anstalten lebten. * Es gab Anfang 1989 eine Ausstellung auf Kampnagel, wo die Werke gezeigt wurden. In diesem Zusammenhang entstand auch dieser Buch-Katalog. **
Nicht nur das Buch selber gefällt mir mit seiner gesamten Gestaltung - auch der Titel ist schön und TREFFEND. Während meiner eigenen Arbeit in einem Alten- und Pflegeheim erlebte ich Menschen, die oftmals tatsächlich AUSGETRÄUMT hatten und sich abgeschoben fühlten. Fitzgibbon, Iden, Loeding und Liptow schenken den Alten, indem sie sich ihnen schöpferisch zuwenden, einen Rest von Würde. Sie verleihen ihnen ein Stück Wichtigkeit, die sie auch mit 80 oder 90 Jahren noch haben. * Das großartige Buch zeigt, wie damals die HH-Kulturbehörde noch Projekte anschob und finanzierte, die nicht der Image-Verbesserung der Metropole, sondern den Menschen selber dienten. Wie anders ist dagegen die Situation heute, mehr als 20 Jahre später ... Die Betreuung von alten Menschen wird allein Sozialstationen und sozialarbeiterisch geschulten Fachkräften überlassen (einige nennen sich auch "Manager" - Klienten werden zu "Kunden" umdefiniert). Mit einem sensiblen Blick auf die Kreativität von SeniorInnen - ist kein Staat zu machen! Da kann man nur als Einzelkämpfer noch versuchen, etwas zu bewirken. 2007 organisierte ich eine Ausstellung mit Werken von 15 SeniorInnen, darunter zahlreiche an Demenz erkrankten. Anfangs ließ mir die Heimleitung noch freie Hand. Als ich das Thema ausweiten und andere Künstler einladen wollte -ich hatte bereits Kontakt mit Peter Loeding aufgenommen- wurde das Geld knapp. Meine Stelle als "sozialer Betreuer" wurde gestrichen, ich wurde wieder "arbeitslos". (siehe auch Ztg-Artikel unter Presse/Medien auf meiner Website) ** Ein besonders krasses Beispiel für den "Paradigmen-Wechsel" (um einmal das soziologische Mode-Wörtchen zu benutzen), der seit Anfang der 90-er Jahre stattfand, erlebte ich vor drei Jahren. Ich stellte einen Antrag bei der Hamburgischen Kulturstiftung, um die von mir organisierte "Wilhelmsburger Busgalerie" weiter finanzieren zu können. Mir wurde mitgeteilt, daß es Zuschüsse nur für KünstlerInnen gebe, die "höchstens 40 Jahre alt" seien. Als ob Kreativität und Entwicklung mit 40 zu Ende seien. Mit der grassierenden Gentrifizierung ist offenbar ein Jugend-Wahn in den höheren Etagen der Kulturförderung ausgebrochen und treibt seltsame Blüten. ** Zurück zum Buch: Die Zeit ist nicht zurückzudrehen, aber vielleicht findet die hiesige Kulturbürokratie doch noch zurück zum allein richtigen Weg, nämlich: den "Fokus" (noch ein Modewörtchen) wieder auf die Menschen selber zu richten. Heute werden Projekte allein nach dem Kriterium bewertet und bezuschusst, ob und wie Kreative für den Wettbewerb um die "schönste" und tollste Stadt zu instrumentalisieren sind. Nicht nur die IBA liefert dafür krasse Beispiele. Das Kulturleben wird zum "Tanz ums Goldene Kalb". Der Kommerzielle Erfolg wird über alles gestellt und die Kunst als Ganzes fetischisiert. *R.S.*

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