2002 erschien ein Buch mit "Aufrufen, Manifesten und Freiheitspapieren der Glücklichen Ar-beitslosen". Was machen diese Leute heute? Auf www.diegluecklichenarbeitslosen.de stammt der letzte datierbare Eintrag von 2001. Schade! Mir ist die Idee sehr sympathisch: Als Arbeitsloser GLÜCKLICH zu sein, nicht zum Riesenheer jener zu gehören, die in Sack und Asche gehen, weil sie keinen Job haben. * Bei der Lektüre des Buchs ahne ich, daß sich diese als Massenbewegung ("Wieviel sind wir? Wir schätzen: Ein paar Millionen in Europa") geträumte Initiative offenbar tot-gefaulenzt - nein: tot-POLEMISIERT hat::: Als Satire gingen die Texte noch an - die Verfasser meinen sie aber anscheinend bitterernst. *
Clever beginnt der Herausgeber und Autor Paoli mit Hinweisen, wie die Texte NICHT zu lesen seien. Etwaigen Kritikern soll von Vornherein der Wind aus den Segeln genommen werden. Lässig wird die "häufigste und heftigste Kritik" zurückgewiesen, die die "Glücklichen Arbeits-losen" und ihre ZS "Müßiggangster" ab Mitte der 90-er Jahre erfuhren. In einem Nebensatz wird mal eben Max Stirner, theoretischer Begründer des Individualanarchismus ("Der Einzige und sein Eigentum") einverleibt. Gelesen hat ihn Paoli wohl kaum. Stirner war zwar extrem in seinem Denken, aber beileibe kein Großkotz. * Leider lenken die AutorInnen ihren Haß, Wut und notorische Rechthaberei nicht allein auf (aus ihrer ideologischen Sicht::) Feinde wie Arbeitsämter, Armee, Universitäten etc., sprich: Staat allgemein, sondern auch pauschal gegen Andersdenkende. Was sich hier auf gut 200 Seiten austobt, ausgehend von mitunter pointiert beschriebenen Mißständen: Schaffung von Scheinarbeitsplätzen, Verfälschen von Statistiken, Aufblähen des bürokratischen Apparats usw. ... ist von einer Selbstverliebtheit und Arroganz, die einem nicht häufig geboten wird. * Ein Zitat aus dem Aufsatz "Auf der Suche nach unklaren Ressourcen": "Glück ist bürgerlich. Glück ist unverantwortlich. Glück ist undeutsch". Das ist von der Sache her zwar Blödsinn - aber wer wagte in diesen Zeiten, wo die Frage der Nationali-tät für extreme Polarisierung sorgt, dem Autor Paoli, "französischer Staatsbürger korsischer Abstammung" zu widersprechen? Aus Watzlawicks "Anleitung zum Unglücklichsein" wird zitiert, auch Lautreaumont wird wie nebenbei einverleibt und, ganz doof, Aristoteles wird zu den "Glücklichen Arbeitslosen" gezählt. Vor keiner Abstrusität wird halt gemacht. Ganze Be-völkerungs-Gruppen werden pauschal mit Häme überzogen: "Gewiß gibt's auch Studenten, Künstler und andere Wichtigtuer, die kein Papier schreiben und keinen Napf lecken können, ohne zu behaupten, sie leisteten eine "wichtige Arbeit" (S. 38). Künstler scheinen mit der Feind Nr. 1 zu sein. In "Stil(l)eben mit Kunstglied" wird, nicht ganz zu Unrecht, behauptet: "Die Kunst ist die letzte Hochburg der Arbeitsmoral". An anderer Stelle heißt es unverschämt und herablassend: "Wenn Arbeitslose versuchen, Kunst zu machen, wird das Ergebnis nicht unbe-dingt überzeugend. Wenn Künstler versuchen, Arbeitslosigkeit zu thematisieren, wird meistens das Ergebnis recht katastrophal. Banalitäten der gutgemeinten Betroffenheit, Klischees der ökonomischen Gehirnwäscherei, Idiotismen der Parteipolitik. Was versteckt sich hinter diesen toten Masken?" Eines scheint gewiß: Der Autor versucht erst garnicht, eine Antwort auf die Frage zu finden. Ihm genügen verbale Pauken- und Rundumschläge. *
Fazit: Die sich selbst "Glückliche Arbeitslose" nennenden Autoren dogmatisieren und verabso-lutieren ihre Position. Was bisweilen wie ein Frage- und Antwortspiel wirkt, ist de facto ein Pseudo-Diskurs. Die Problematik, von der ausgegangen wird: Massenarbeitslosigkeit, ist gravierend. Mit der Diffamierung von Menschen, die eine positive Einstellung zur Arbeit haben und mit "Besuchen" (sprich: Belästigungen) mißliebiger SachbearbeiterInnen in Arbeitsämtern etc. werden die anstehenden Probleme einer Lösung keinen Schritt näher gebracht. Forde-rungen nach einer Reduzierung der Arbeitszeit auf wenige Stunden (für die, die es wollen), werden als "Wurstelei" (S. 40) diffamiert. Destruktiver geht es kaum. * Bleiben mir am Ende als Leser zwei Fragen:
1) Wieso machen sich diese Leute die ARBEIT, ein Buch zusammenzustellen?
2) Sind sie tatsächlich "glücklich"? - Edition Tiamat; 208 S., isbn 3-89320-062-2 *R.S."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen